Dienstag, 8. Juni 2021

Feuerland

Ungastlich, wild und unerbittlich präsentiert sich das naturgewaltige Ende der Welt in Francisco Coloanes Erzählungen im Buch Feuerland des Unionsverlages. Mit seinen neun Abenteuergeschichten zieht der chilenische Schriftsteller seine Leser tief hinein in die Landschaft Patagoniens und die Schicksale der Menschen, die – wie er selbst - dem Leben in der gewaltigen Natur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfallen sind.

Geschichten so wild wie das Land

Zweifellos bieten die Berge, die Fjorde, das Wetter und die Einsamkeit Patagoniens eine beeindruckende Kulisse für die Geschichten von Goldsuchern, Walfängern, Matrosen und Desperados. Aber im Laufe der Lektüre wird klar, dass die gewaltige Natur eben nicht nur Kulisse, sondern auch so etwas wie einen Protagonisten darstellt. Oft genug sind es die Naturgewalten, die den Verlauf der Ereignisse und damit auch Schicksale bestimmen. Und dennoch geht es dem Autor vor allem um die Menschen, die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen auf ein Leben in den unwirtlichen Weiten eingelassen haben. Denn Wildnis hin, Wildnis her, Flora und Fauna spielen in den naturgewaltigen Bildern und den Abenteuern der Glücksritter kaum eine Rolle.

Schicksalhafte Begegnungen

Es sind vielmehr die oft zufälligen Begegnungen von Menschen, die die Faszination des Buches ausmachen: Meist schweigsam, distanziert, gedankenschwer reisen sie ein Stück zusammen durch die Wildnis, bevor sich ihre Wege wieder trennen, mal gewaltsam, mal einvernehmlich, mal in unausgesprochener Freundschaft, mal in verborgener Feindschaft. Auch in der von Coloanes beschriebenen Seefahrt spielen die menschlichen Begegnungen und Schicksale eine zentrale Rolle. Dabei präsentiert der Autor das ganze Spektrum von Gefühlskälte einerseits und Empathie andererseits, das in Verbindung mit Aberglauben und Ritualen den Verlauf der Geschichten bestimmt. Auch hier prägen natürlich die Naturgewalten, denn es sind die Fjorde und Kanäle der Magellanstraße – der oft einzige Zugang zu den verstreuten Siedlungen Patagoniens – die von den Versorgungsschiffen unter widrigen Bedingungen befahren werden.

Bildgewaltige Erzählungen

Menschen und Landschaft korrespondieren in faszinierender Weise miteinander und gelegentlich schreibt Coloane den Naturgewalten, den Winden und Wassern, den Bergen und Wolken gar eigene Charakterzüge zu. Patagonien erscheint als ein gewaltiger eigenständig handelnder Organismus, der seine Besucher vernichten aber auch belohnen kann. Am Ende hat nur der aufmerksame Beobachter der Zeichen der Natur aber auch seiner Mitmenschen Überlebenschancen in den gesetzlosen Weiten Patagoniens.

Francisco Coloane: Feuerland. Unionsverlag 2019. Taschenbuch 218 Seiten

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