Eine Empfehlung für seefahrtsaffine LeserInnen
Als das chilenische Segelschulschiff General Baquedano seine letzte Reise antritt, ist mit Alejandro auch ein blinder Passager an Bord. Er wird der letzte Schiffsjunge des altgedienten Schiffes sein, dessen letzte Mission es bis an die Südspitze der bewohnten Welt, in die Fjorde Patagoniens führt. Francisco Coloane Cárdenas lässt mit seinem einfachen und lebendigen Stil das Leben an Bord und die wilde Landschaft des damals noch unerforschten Teils Patagoniens, dort, wo das Volk der Yaganen lebt, erfahrbar werden.
Alejandro erlebt alles, was zu einer traditionellen Segelschiffsreise zum und um das legendäre Kap Hoorn gehört. Das beginnt mit seiner Entdeckung an Bord und den daraus resultierenden disziplinarischen Maßnahmen und hört mit dem heldenhaften Einsatz eines Matrosen zur Rettung des Schiffes vordem sicheren Untergang noch längst nicht auf. Dabei scheint der/die LeserIn mit an Bord zu sein, kann die Emotionen der Seeleute ebenso spüren, wie die Launen der Stürme und der See. Und, ob Seemannsgarn oder nicht, auch eine gespenstische Begegnung darf nicht fehlen.
Die Geschichte kommt vordergründig recht schlicht daher, und da der Protagonist ein fünfzehnjähriger Junge ist, wird der ziemlich kurze Roman gerne als Kinder- respektive Jugendbuch eingestuft. Doch entpuppt sich der Roman durchaus als vielschichtig mit philosophischen Ansätzen, die zum Nachdenken anregen. Nicht zufällig wird Francisco Coloane, Sohn eines Walfänger-Kapitäns auf der chilenischen Insel Chiloé, mit literarischen Größen wie Jack London oder Herman Melville in eine Reihe gestellt. Wie diese konnte Coloane eigene Erfahrungen in seinen Abenteuerromanen verarbeiten. Er fuhr auf einem Walfänger zur See, war Verwalter auf einer großen Schaffarm, Matrose, Mastwächter auf einem Schulschiff der chilenischen Marine, Forscher in der Antarktis, leitete Erdölbohrexpeditionen, befuhr alle Weltmeere und zeichnete Seekarten der Meeresstraßen rund um Kap Hoorn. Nicht zuletzt reiste er 1933 auch auf der General Baquedano.
Auch wenn der 1910 geborene und 2002 verstorbene Autor zu den bekanntesten (und preisgekrönten) Schriftstellern Lateinamerikas gehört, für mich war die Lektüre des Buches, dessen Originalausgabe bereits 1941 erschienen war, eine neue Erfahrung. Und die hat mich persönlich überzeugt. Bereits mit dem ersten Satz konnte ich in die Geschichte eintauchen, und die ließ mich bis zum Ende nicht mehr los. Kurz erschien sie mir (bei nur rund 90 Taschenbuchseiten sicher zu Recht) und doch von großer Dichte und vor allem Wert, noch ein zweites Mal gelesen zu werden. Für seefahrtsaffine LeserInnen eine echte Empfehlung.
Francisco Coloane. Der letzte Schiffsjunge der Baquedano. Unionsverlag 2021. Taschenbuch 93 Seiten.
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