Der
heute wohl bekannteste Vertreter der Grubenpferde im Ruhrbergbau heißt
Tobias. 1966 wurde er als einer der letzten Kumpel auf vier Beinen unter
großem Medienrummel in den wohlverdienten Ruhestand geschickt. Damit
endete eine rund 100- jährige Ära, die heute weitgehend in Vergessenheit
geraten ist, für die industrielle Revolution jedoch mindestens so
bedeutend war, wie die Dampfmaschine.
Das im August 2010 erschienene Buch „Kumpel auf vier Beinen“ ist Ergebnis
einer 2005 im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern erstmals gezeigten
Sonderausstellung. Dass der reichhaltig illustrierte ‚Begleitband‘ zur
Ausstellung erst fünf Jahre nach der ersten Ausstellungseröffnung
erschienen ist, hat seinen Grund in der erstaunlich schlechten
materiellen Quellenlage. Zwar finden sich zahlreiche Dokumente in
Bergwerks- und Unternehmensarchiven, in Literatur und Kunst, die auch in
Ausstellung und Buch ihren Niederschlag gefunden haben. In der
Wissenschaft und damit auch in den Sammlungen der einschlägigen
Institute und Museen ist die materielle Überlieferung über die
Pferdehaltung, wie die Autorin Ulrike Gilhaus in der Einführung betont,
„außerordentlich schlecht. Die Dingwelt der Grubenpferde ist bis auf
wenige Objekte verloren.“
Grubenpferde und die industrielle Revolution
Vor
diesem Hintergrund ist das Buch nicht nur hinsichtlich des Themas
zweifellos etwas Besonderes. Denn es ist gelungen, die Grubenpferde
sowohl als ‚technisches Hilfsmittel‘ im Bergbau, als auch als Lebewesen
und als Partner der Bergleute, deren Arbeitsbedingungen nicht unbedingt
wesentlich besser waren als die der Pferde, darzustellen. Und so erfährt
der Leser beispielsweise, dass der Einsatz der Grubenpferde einen
gewaltigen und angesichts des immensen Brennstoffbedarfs der Industrie
zwingend notwendigen Produktivitätsschub im Bergbau ermöglichte. Um etwa
1850 eingeführt, gab es 1882 bereits 2.200 Grubenpferde, die 15.000
Förderleute ersetzt hatten. Rein technisch-ökonomisch gesehen gab es in
jener Zeit zur menschlichen oder tierischen Arbeitskraft nur selten
Alternativen. Dampfmaschinen waren für den Einsatz unter Tage
grundsätzlich nicht geeignet und die Umstellung auf mechanische
Fördermittel wie zum Beispiel Elektroloks konnte sich erst ab etwa 1920
durchsetzen.
Das Grubenpferd als Partner unter Tage
Das
Buch „Kumpel auf vier Beinen“ zeigt, wie tiefgreifend Technik,
Wirtschaft und Gesellschaft vom Einsatz der Grubenpferde geprägt war. So
gab es spezielle Pferdeunternehmer, die den Gruben geeignetes
‚Pferdematerial‘ vermieteten. Penibel wurde dabei geregelt welche
Vertragspartei welche Kosten zu tragen hatte oder wie der
‚Leasinggegenstand‘ Pferd vom Mieter zu behandeln sei. Arbeitszeiten und
Pausen, vergleichbar jenen der zweibeinigen Kumpel wurden ebenso wie
die medizinische Versorgung festgelegt. Und natürlich mussten sich die
Dimensionen der Stollen und deren Ausbau mit für die Pferdehufe
sorgfältig geschotterten Förderstrecken oder den unterirdischen Ställe
an die vierbeinigen Mitarbeiter anpassen. Dass sich bei dem zwangsläufig
innigen und vertrauensvollen Verhältnis zwischen Pferd und Bergmann
ganz persönliche Verhältnisse zueinander entwickelten, versteht sich von
selbst. Und so finden sich auch Erinnerungen heute noch lebender
Zeitzeugen dieser Epoche an ihre Zusammenarbeit mit den vierbeinigen
Kumpels in dem Buch, das unglaublich informativ und sachlich,
gleichzeitig aber auch sehr persönlich und authentisch daherkommt.
Legenden und Vorurteile über Grubenpferde
„Kumpel
auf vier Beinen“ räumt mit zahlreichen Vorurteilen oder Legenden auf.
So darf hier verraten werden, dass Grubenpferde weder aufgrund der
dunklen Stollen erblindeten, noch, wie so oft behauptet, zählen konnten.
Und tatsächlich sahen sie während ihres langjährigen Einsatzes in
gewissen Abständen durchaus das Tageslicht. Ulrike Gilhaus eröffnet dem
Leser auch, welche wesentliche Rollte Grubenpferde bei der Entwicklung
des Tierschutzes gespielt haben. Und natürlich erklärt sie welche Rassen
unter Tage besonders geeignet waren.
„Kumpel auf vier Beinen“ ist
eine durch und durch runde Sache. Das Buch spricht zweifellos auch
Pferdefreunde an. Wer sich für Wirtschafts- Technik- Sozial- oder
Bergbaugeschichte interessiert, findet mit diesem Buch aber ebenfalls
eine wunderbar vielseitige und informative Lektüre zu einem Aspekt der
industriellen Revolution, der – gerade einmal 50 Jahre zurückliegend -
nahezu völlig aus unserem Bewusstsein verschwunden ist.
Ulrike Gilhaus: Kumpel auf vier Beinen, Grubenpferde im Ruhrbergbau. Klartext Verlag 2010. Broschiert, 148 Seiten.
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