Ein Buch zur Archäologie und Geschichte der Schlacht am Harzhorn
Es war tatsächlich einmal eine archäologische Sensation, als im Jahr 2008 niedersächsische Kreisarchäologen der Öffentlichkeit die Überreste eines römischen Schlachtfeldes präsentierten, dort, wo es nach bisherigem Geschichtsverständnis eigentlich keines geben sollte. Trotzdem musste die römische Geschichte Germaniens natürlich nicht grundlegend neu geschrieben werden, auch wenn das unerwartet entdeckte historische Ereignis einen neuen Blick auf die Hintergründe des Germanenkrieges des „ersten Soldatenkaisers“, Maximus Thrax, geradezu forderte.Dass die Relikte der Schlacht, die sich am Harzhorn und am Kahlberg im Landkreis Northeim zwischen den Römern und Germanen zugetragen hatte, vom Germanienfeldzug des Kaisers Thrax im Jahre 235/236 stammen, ist ziemlich sicher. Dass die Römer den Angriff der Germanen abwehren konnten, lässt sich anhand der Funde rekonstruieren. Die Richtung, in die die im Boden konservierten Pfeilspitzen der Bögen aber auch der Torsionsgeschütze zeigen, die Verteilung der Sandalennägel und vieles andere mehr lassen eine erstaunlich präzise – wenn auch aufwändige – Rekonstruktion des Schlachtgeschehens zu. Das ist neben der durch Münzfunde recht zuverlässigen Datierung aber zunächst einmal das, was die Funde und Befunde über die konkreten Ereignisse vor Ort preisgeben.
Die Schlachtfeldarchäologie
In vielerlei Hinsicht ist das, was das Schlachtfeld am Harzhorn an Überlegungen und Recherchen nach sich gezogen und im Buch seinen Niederschlag gefunden hat, spannender als das materiell nachgewiesene und dokumentierte Ereignis selbst. Um nämlich die Funde und die Aussagekraft von Schlachtfeldern insbesondere aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit einordnen zu können, ist unter anderem ein umfassendes Verständnis von symmetrischer und asymmetrischer Kriegführung und ihre gegenseitige Dynamik notwendig. Hinzu kommen kulturelle Aspekte, die das Vorhandensein oder nicht Vorhandensein von Waffen auf historischen Schlachtfeldern erklären. Etwa wenn – wie im Falle der Germanen -, die Waffen nach der Schlacht eingesammelt und in Mooren oder Seen versenkt werden. Welche Gegner zu welcher Zeit aufeinandergetroffen sind, spielt bei den zu erwartenden Funden und Fundzusammenhängen ebenso eine Rolle, wie der Ort des Geschehens. Haben wir es mit einem stark besiedelten Gebiet zu tun, so sind andere Funde und (abgesehen von der Bodenbeschaffenheit) Erhaltungszustände zu erwarten, als in abgelegenen Gegenden. Belagerungen und Eroberungen von Siedlungen ergeben ganz andere Bilder als offene Feldschlachten oder Defileegefechte wie in Kalkriese, dem Ort der Varusschlacht.
Die geschichtlichen Hintergründe
Wenn die Verfasser also in einer Kapitelüberschrift die Frage stellen: „Römisch oder germanisch? Wer kämpfte am Harzhorn?“, so hat das hinsichtlich der Aussagekraft der Artefakte durchaus seine Berechtigung. Denn zum einen führten die Germanen in jener Zeit auch römische Waffen, zum anderen fanden sich „Fremdwaffen“ bei den römischen Hilfstruppen, zu denen auch germanische Krieger gehörten. Von vornherein, so die Autoren, lassen sich Römer und Germanen anhand ihrer Bewaffnung zumindest in der fraglichen Zeit nicht unterscheiden. Dennoch könne aufgrund der Fundverteilung und dem vorhandenen Waffenspektrum an einer generellen Zuordnung der Waffen kein Zweifel bestehen.
Im Gegensatz zur Varusschlacht finden sich zur Auseinandersetzung am Harzhorn keine direkten historischen Berichte. Das scheint auf den ersten Blick umso erstaunlicher, als es sich um einen Konflikt gehandelt hatte, an dem auf beiden Seiten Tausende von Kriegern beteiligt und aus dem die Römer siegreich hervorgegangen waren. Und nicht zuletzt kann die Schlacht am Harzhorn und dem benachbarten Kahlberg in einen direkten Zusammenhang mit dem groß angelegten Germanenfeldzug des Kaisers Maximus Thrax gestellt werden. Die Relikte dieses weitgehend vergessenen – beziehungsweise von den römischen Geschichtsschreibern vertuschten - Feldzugs lassen nun im Rahmen der Untersuchungen die ganze Epoche der spätkaiserlichen Beziehungen zwischen Germanen und Römern neu ins historische Bewusstsein treten. Und während vor noch wenigen Jahren die römisch-germanischen Beziehungen mit der Varusschlacht als mehr oder weniger beendet galt, haben neuere Forschungen - beispielsweise zur Bildung germanischer Eliten oder zur politisch motivierten Geschichtsklitterei der römischen Chronisten – überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, die „Schlacht, die es hätte eigentlich gar nicht geben dürfen“ in seine historischen Zusammenhänge zu stellen und zu bewerten.
Römische Außenpolitik und innergermanische Entwicklungen
Und das beginnt mit den ausführlichen Überlegungen zum Wechselverhältnis zwischen militärisch-politischer Symmetrie und Asymmetrie bei interkulturellen Auseinandersetzungen wie dies nicht nur bei der römisch-germanischen Geschichte der Fall war. Nach den komplexen Ausführungen zur Schlachtfeldarchäologie fassen die Autoren die Ereignisse und Entwicklungen bei der Entdeckung des Schlachtfeldes am Harzhorn zusammen, um schließlich unter verschiedenen Aspekten das Fundmaterial in die historischen Ereignisse einzuordnen. Die politischen Hintergründe des ursprünglich von Kaiser Servus Alexander geplanten Feldzuges nach Germanien werden durchleuchtet. Die römische Außenpolitik und die kurze politische Karriere des Maximus Thrax sind Gegenstand weiterer Kapitel. Der Leser erfährt schließlich einiges über die verschiedenen Propagandainstrumente der Protagonisten, zu denen nicht nur die Kaiser mit ihrer Münzikonografie, sondern auch der römische Senat mit seinem Einfluss auf die „korrigierende“ Geschichtsschreibung gehören. Und schließlich führen die Autoren den Leser in das Germanien des 3. Jahrhunderts nach Christus. Das war eine Zeit des kulturellen und sozialen Umbruchs einschließlich der Elitenbildung, die sich unter anderem in den exklusiven Grabinventarien ausdrückt.
Das Buch ist weitaus mehr als eine archäologische Bestandaufnahme des Fundortes
Der Leser erhält einen Einblick in die Kriegsphilosophien der Kontrahenten, die Zusammensetzung und Ausrüstung der germanischen Kampfverbände und der römischen Armee oder die Kenntnis der Kriegsparteien über die jeweils andere Seite. Die Autoren informieren über die Besiedlungsdichte, Topografie und logistischen Herausforderungen des spätkaiserzeitlichen Germanien und nicht zuletzt wird das Thema auf den der Titel des Buches vordergründig hinweist, ausführlich behandelt und analysiert. Grafiken, historische Karten, strategisch-taktische Überlegungen und natürlich immer wieder die Funde und Befunde des Schlachtfeldes am Harzhorn und am Kahlberg vermitteln ein plastisches Bild der Geschehnisse. Und ganz zum Schluss widmen sich die Autoren mit dem Abschnitt „Triumph und Verdammnis“ den historischen Relikten der Schlacht am Harzhorn zu denen neben römischen Grabinschriften auch das Schicksal des Maximus Thrax gehört, der vom gefeierten Germanicus Maximus zum Staatsfeind und damit auch historisch zur persona non grata wurde.
Insgesamt ein hochinformatives Buch, das erfreulicherweise weitaus mehr als eine archäologische Bestandaufnahme des Fundortes darstellt und dem Leser sicherlich zahlreiche neue Informationen und Aspekte zur römisch-germanischen Geschichte liefert. Leider teilt „Roms vergessener Feldzug“ den Mangel vieler Ausstellungskataloge: Das Konzept von Essaybänden und die enge Orientierung an der jeweiligen Ausstellungsstruktur führt immer wieder zu inhaltlichen Doppelungen und mehr oder weniger starken Gliederungsproblemen. Das ändert jedoch nichts an der Gesamtbeurteilung, dass das Buch „Roms vergessener Feldzug“ durchaus den Status Grundlagenliteratur für sich in Anspruch nehmen kann.
Heike Pöppelmann, Korana Deppmeyer, Wolf-Dieter Steinmetz: Roms vergessener Feldzug. Die Schlacht am Harzhorn. Theiss 2013. Gebunden mit Schutzumschlag, 406 Seiten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen