Bereits
die Einleitung des Buches aus Band 9 der Berliner Schriften zur
romanischen Kultur- und Literaturgeschichte mit dem Titel „Der
Vampirglaube in Südosteuropa“ verspricht Neues zum Original der heute so
beliebten Romanhelden, vor allem in der Jugendliteratur. Denn der
Historiker und Balkanologe Peter Mario Kreuter stellt klar, dass der
größte Teil der westlichen Literatur zum Thema sich im Wiederkäuen der
gleichen Sekundärliteratur aus England, Frankreich, Deutschland und des
USA erschöpfe. Das Material hingegen, das Ethnologen und Ethnographen in
der Ursprungsregion des als Vampir bezeichneten Wiedergängers
zusammengetragen haben, werde, so der Autor, „mit großer Souveränität
ignoriert“.
Tatsächlich aber ist das Problem bei der sehr umfassenden Sachliteratur zum Thema
Vampir noch viel komplexer. Nur ganz selten findet sich hier eine klare,
auf der Analyse der südosteuropäischen Volksüberlieferungen basierende
Definition des Vampirs. Stattdessen werden oft die unterschiedlichen
Arten von Wiedergängern aus aller Welt in einen Topf geworfen. Oft genug
werden auch noch Elemente anderer Wesen und der umfassenden mittel- und
westeuropäischen literarischen Rezeption der Vorstellung vom Vampir
beigemischt. Dass schließlich die Erklärungen für das Phänomen des
Vampirs je nach Fachdisziplin oft genug jeglicher Grundlage entbehren,
zeigt das Kapitel, das sich mit eben jenen, meist monokausalen
Argumentationen beispielsweise von Medizinern oder Psychologen
auseinandersetzt.
Monster ohne „Vampirzähne“ und Lichtempfindlichkeit
Kreuter,
dessen Fußnotenapparat eine detaillierte Analyse auch der gedruckten
und ungedruckten Primärquellen belegt, räumt sehr plausibel und
nachvollziehbar mit den gängigen Fehlurteilen zum Vampir auf. Im
Gegensatz zu den literarischen Vampiren verfügen die als Vampir
bezeichneten südosteuropäischen Wiedergänger weder über die berüchtigten
Eckzähne, noch über ein Verlangen nach Blut. Selbst die vermeintliche
Lichtempfindlichkeit lässt sich im Volksglauben nicht nachweisen.
Viel
Platz räumt Kreuter den kulturgeschichtlichen Hintergründen und
Rahmenbedingungen des Volksglaubens dieser Region ein. Dazu gehören
neben dem Ausflug in den Einbruch des Islam und die Entstehung des
osmanischen Reiches auch die kulturelle Vielfalt der südosteuropäischen
Völkerschaften, die Auseinandersetzung mit der christlichen Religion
oder der vorchristlichen religiösen Situation.
Interdisziplinäre Vampirforschung
Die
Arbeit des Historikers und Balkanologen ist also alles andere als
eindimensional. Die Arbeiten von Religionswissenschaftlern,
Orientalisten, Linguisten, Medizinern, Theologen und Anthropologen
finden hier ihren Niederschlag. Die Komplexität dieser Herangehensweise
auf der einen und der Versuch, das spezifische Phänomen des Vampirs
gegenüber verwandten Monstern und Dämonen des Volksglaubens
herauszuarbeiten, bringt es mit sich, dass das Ergebnis am Ende völlig
zu Unrecht als ein wenig dürftig empfunden werden könnte. Kreuter ist
jedoch an das gut verständliche und dennoch wissenschaftliche Werk nicht
mit dem Anspruch der Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit
herangegangen. Vielmehr dient es hervorragend als Grundlage weiterer
Forschung zu diesem Thema unter der kulturgeschichtlich wichtigen
Vorgabe einer handhabbaren und ausbaufähigen Definition.
Vampir, Religion und Volksglaube
Aber
auch die Interpretation der Bedeutung des Phänomens Vampir für die
Gesellschaften Südosteuropas, liefern sehr interessante Ansatzpunkte für
weitere Untersuchungen auch zu vergleichbaren Phänomenen in anderen
Regionen. Da ist Aberglaube plötzlich keine Erscheinung mehr, die
lediglich in Unwissenheit und Angst begründet ist, sondern er wird zu
einer geradezu zwingenden Ergänzung monotheistischer Religionen, die
wesentliche spirituelle Bedürfnisse des menschlichen Lebens nicht
religiös oder rituell abdecken.
Die
Lektüre dieses Buches wird das Bedürfnis nach mystischen Vorlagen für
weitere Romanfiguren ganz sicher nicht befriedigen. Für die
weitergehende ernsthafte kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit
diesem Phänomen hat der Autor jedoch so etwas wie Pionierarbeit
geleistet. Die gerade einmal zweiseitige Zusammenfassung der Ergebnisse
am Ende des Buches, hat es diesbezüglich bei genauerer Betrachtung in
sich.
Peter Mario Kreuter: Der Vampirglaube in Südosteuropa.
Studien zur Bedeutung und Funktion. Berliner Schriften zur romanischen
Kultur – und Literaturgeschichte, Band 9. Weidler Buchverlag 2001.
Taschenbuch mit Schutzumschlag, 218 Seiten.
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