Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt
Kiesgruben, Steinbrüche und Baggerseen üben eine gewisse Faszination auf den Betrachter aus, zeigen sie doch nicht nur die Zerstörungskraft des Menschen, sondern, insbesondere bei stillgelegtem Abbau, auch die Regenerationskraft der Natur. Mit seinem Buch „Sand“ lässt der Autor Vince Beiser seine LeserInnen allerdings nicht nur in die Abgründe der Tagebaue schauen, sondern auch in die der menschlichen Profitgier und Expansionswut. Auch die hat ihre eigene Faszination, verursacht aber angesichts der Maß- und Skrupellosigkeit, mit der die scheinbar grenzenlos verfügbare Ressource Sand ausgebeutet und damit in großem Stil Natur vernichtet wird, mehr als nur Magenschmerzen.Sand bewegt die Welt
Sand, so beginnt der Autor seine technische
und historische Reise in die Welt der quarzigen Körner, ist die wichtigste
feste Substanz auf Erden. Was kaum jemandem vor der Lektüre dieses Buches bewusst
ist: Wir leben im und auf dem Sand, unser ganzes Leben ist gewissermaßen auf
Sand gebaut. Das beginnt dem Baumaterial unserer Städte, unserer Behausungen, unserer
Straßen: Beton, Asphalt schlichtweg mit Zement oder Teer gebundener Sand. Das
Glas, in dem wir Getränke aufbewahren, die Brillengläser, die uns Durchblick
verschaffen und nicht zuletzt die diversen Arten von Glasscheiben für Autos,
Fassaden, alles aus geschmolzenem Sand. Auch unser digitales Zeitalter mit
seinen Chips, Glasfasern und Solarelementen ist ohne Sand nicht vorstellbar und
am Ende könnte sogar die Tourismusindustrie ohne Sand kaum existieren. Und
nicht nur die.
Auf (aus) Sand gebaut
Was wäre beispielsweise die Automobilindustrie
ohne Beton- oder Asphaltpisten? Was wäre der moderne Städtebau ohne Stahlbeton und
riesige Glasscheiben? Was wären die beliebten Touristenstrände in aller Welt
ohne das ständige Aufschütten mit importiertem Sand? Ganze Inseln entstehen
unter Verwendung von Milliarden von Kubikmetern Sand, der vom Meeresboden
abgesaugt wird und dabei alles vernichtet, was dort zuvor lebte und wuchs.
Riesige Geisterstädte werden in China gewissermaßen vorproduziert, um des erwarteten
Bevölkerungswachstums gerecht zu werden, Stauseen zur Energiegewinnung, ohne Betonstaudämme
nicht denkbar. Vince Beiser zeichnet ein überwältigendes Bild vom alltäglichen
Sandbedarf und seiner oft genug eher profitablen als sinnvollen Verwendung.
Aber er listet den Einsatz, die Beschaffung oder die katastrophalen Folgen für
die Umwelt nicht einfach nur auf, er beschreibt auch die geradezu
atemberaubende Entwicklungsgeschichte der geradezu grenzenlosen Naturausbeutung,
die vor gerade einmal rund 100 Jahren begann und inzwischen eine scheinbar
unaufhaltsame Dynamik entwickelt hat.
Ein beeindruckendes Buch
Nicht jeder Sand ist für die industrielle Nutzung geeignet. Und so werden, wie Beiser zeigt, die besonders reinen (und selteneren) Quarzsande zur Chipherstellung, die scharfen Quarzsande für Beton oder die für das Aufschütten von Inseln geeigneten speziellen Meeresbodensande tatsächlich rar, die Transportwege zwischen Anwendung und Gewinnung immer länger, die Preise immer höher und die Beschaffungskriminalität immer größer. „Sand“ bietet Technologie- und Umweltgeschichte, investigativen Journalismus und Perspektiven in einem Buch, das obwohl dicht an Informationen und Geschichten hervorragend lesbar und unterhaltsam, ein echter pageturner ist. Am Ende weist der Autor noch einmal auf einen Aspekt hin, der bei der Lektüre seines Buches aus der Oekom-Reihe „Stoffgeschichten“ bereits erkennbar wurde: „Aber wir müssen auch begreifen, dass es nicht allein darum geht, einen bestimmten Rohstoff achtsamer und klüger zu handhaben, sondern darum, wie wir all diese Rohstoffe verwenden. Es geht darum, für sieben Milliarden Menschen ein Leben zu ermöglichen, das nicht auf Sand gebaut ist.“
Vince Beiser: Sand. Wie uns eine wertvolle Ressource durch die Finger rinnt. Oekom 2021. Gebunden 315 Seiten.
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