Freitag, 5. März 2021

Tierfabeln

Von Äsop bis La Fontaine in Gemäldeserien seit 1600

Illustrierte Fabelbücher dürfte schon so ziemlich jeder bibliophile Mensch in seinen Händen gehalten haben und wohl fast jedem dürften in seiner Kindheit Fabeln erzählt oder vorgelesen worden sein. Man denke da nur an die Geschichten vom Hasen und dem Igel oder Reinecke Fuchs. Und so mancher Spruch wie „der Wolf im Schafspelz“ oder „sich mit fremden Federn schmücken“ kann auf eine uralte Fabel zurückgeführt werden. Die Kunsthistorikerin Dr. Lisanne Wepler befasst sich in ihrem Buch „Tierfabeln“ allerdings nicht primär mit dem uns so vertrauten literarischen Genre und seinen Illustrationen sondern mit „erzählenden“ oft großformatigen Gemäldeserien, mit denen ganze Räume ausgestattet wurden.

Exklusive Ausdrucksformen moralischer Erziehung und herrschaftlicher Selbstdarstellung

Mit der malerischen Ausgestaltung eines Teehauses aus dem 18. Jahrhundert durch den Amsterdamer Künstler Peter Korver im Jahr 2016 beginnt Lisanne Wepler ihre Reise in die Geschichte der Tierfabelgemälde. Eine gute Wahl, denn der Künstler hat sich als Motiv die Fabel ausgesucht, in der sich ein Rabe mit gestohlenen Pfauenfedern schmückt. Nicht nur stilistisch sondern auch hinsichtlich der Motive nimm Korver Bezug auf die Werke frühneuzeitlicher Künstler und eröffnet der Autorin damit die Möglichkeit, dem Leser die Tradition und Intention, Konzeption und Entwicklung der Fabeln und hier speziell der Tierfabeln in ihrer Ausdrucksform als narratives Gemälde nahezubringen. Dabei kommen neben Herausgebern historischer Fabelbücher auch Martin Luther oder der niederländische Ökonom und Fabelbuchautor Pieter de la Court (1618-1685) zu Wort. Die verraten dem Leser die pädagogischen und moralischen Absichten und Botschaften, die über Fabeln transportiert werden sollen. Und während die zahlreichen Fabelbücher – aus heutiger Sicht - vor allem an Kinder und eine breitere Bevölkerungsschicht adressiert sind, stellen die großformatigen Gemäldeserien recht exklusive Ausdrucksformen moralischer Erziehung und herrschaftlicher Selbstdarstellung dar.

Ein ganz spezielles Genre

Die Tierfabelgemälde als eigenständiges Genre lassen sich auf den Antwerpener Maler Frans Snyders zurückführen, der als Mitarbeiter im Atelier von Peter Paul Rubens arbeitete. Rubens dürfte seinen Mitarbeiter nicht nur durch seine eigenen Tierdarstellungen inspiriert sondern die Spezialisierung Snyders auf narrative Tierbilder auch gefördert haben. Aber Rubens war nicht der einzige, der das Schaffen von Snyders beeinflusste. Ein Italienaufenthalt, nach dem das Ansehen des Künstlers und die Nachfrage nach seinen Bildern stieg und wohl vor allem die Abbildungen in der zeitgenössischen Fabelliteratur haben deutliche Spuren in Snyders Werken hinterlassen. Besonders hervorzuheben sei in diesem Zusammenhang Marcus Geeraerts dessen Radierungen nicht nur seine eigenen Fabelbücher, darunter „de Fabelen van Esopus“ illustrierten, sondern auch bis ins 18. Jahrhundert „Vorbild für Nachdrucke und (Teil-) Kopien von Fabelbüchern“ waren. Die Hintergründe dieses Erfolgs, Geeraerts Philosophie und Sichtweise auf Zweck und Charakter von Fabeln und anderer auf Snyders Schaffen beschreibt Lisanne Wepler zum Ende des einführenden Teils des Kapitels „Flämische Fabelbilder in spanischem Besitz im 17. Jahrhundert.

Raum der Tiere mit Fenster zum Garten

Die erste großformatige Tierfabelgemäldeserie befand sich im Besitz des Maqués de Legan´s Diego Mexía in dessen Landhaus in Morata. Durch akribisches Studium von Inventaren, Briefwechseln und einschlägiger Literatur rekonstruiert die Autorin diese Serie, die laut Inventar von 1753 im „Raum der Tiere mit Fenster zum Garten“ zu finden gewesen war. Zu jedem einzelnen Bild der Serie stellt Lisanne Wepler nicht nur die zugrundeliegende Fabel, sondern auch die entsprechenden Literarurillustrationen sowie Vergleichswerke anderer zeitgenössischer Künstler vor. Dabei zeigt sich, dass trotz gleicher Vorlagen und gewisser ikonografischer Vorgaben die Fabeln im Rahmen narrativer Gemälde recht individuell ausfallen kann. Da spielen die Anordnung der Protagonisten, die Wahl der Tierart und Pflanzen, der Hintergrund, Bildaufbau oder Bewegung eine ebenso große Rolle wie die Auswahl der dargestellten Fabelszene. Trotz der klaren Erkennbarkeit der jeweiligen Fabel bringen die unterschiedlichen malerischen „Erzählweisen“ spannende Einblicke sowohl in die kulturhistorischen Hintergründe der Entstehungszeit als auch in den narrativen Entwicklungsprozess des gesamten Betrachtungszeitraumes dieses Buches.

Sprechende“ Bildergalerien

Insgesamt rund 15 Fallbeispiele von mit großformatigen Fabelgemäldeserien ausgestatteten Räumen aus dem 17. bis 20. Jahrhundert beleuchtet die Kunsthistorikerin in ihrem anschaulich und wertig illustrierten Buch, das dem/der LeserIn/BetrachterIn eine Fülle an Informationen, Erkenntnissen zu einem ganz speziellen und faszinierenden Kunstgenre und vor allem auch zu seinem Einsatz, Zweck und seiner Wirkungsweise erschließt. Denn die narrativen Tierfabelgemälde hatten in der Vergangenheit neben ihrer dekorativen tatsächlich eine soziale Bedeutung und Funktion. So ganz nebenbei dürfte die Lektüre übrigens auch zur Entdeckung noch recht unbekannter Tierfabeln führen.

Lisanne Wepler: Tierfabeln. Von Äsop bis La Fontaine in Gemäldeserien seit 1600. Michael Imhof Verlag 2021. Gebunden, 30 x 25 cm, 299 Seiten.

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