aus der Dombibliothek Hildesheim
Dass in Büchern Geschichten erzählt werden, versteht sich von selbst. Dass Bücher eine eigene, recht einzigartige Geschichte haben können, erscheint angesichts der heutigen publizistischen Massenproduktion schon eher ein Glücksfall. Wie sehr in der vorindustriellen Literaturvergangenheit Bücher oft mit Geschichten und Geschichte, mit Persönlichkeiten und Schicksalen verwoben waren, davon berichtet Monika Suchan in ihren Buch „Buch-Geschichten in Raum und Zeit.Kirchliche Sinnkrise und christliche Mystik
Mit der unscheinbaren Handschrift „Über sieben Wege zu Gott“ führt uns Monika Suchan in die Zeit des mittelalterlichen Strukturwandels, in dessen Rahmen etwa seit 1200 auch die exklusive Rolle der Kirche als Heilsvermittlerin zwischen Himmel und Erde infrage stand. Bettel- und Frauenorden entstanden, die Menschen suchten ihren individuellen Zugang zu Gott durch mystische Erfahrungen. Rudolf von Biberachs „Über sieben Wege zu Gott“ gilt als als das erste Handbuch zur zeitgenössischen Mystik, das vorliegende Exemplar gehörte den Hildesheimer Magdalenerinnen. Ursprünglich von Rudolf als Büßerorden notleidender Frauen ins Leben gerufen, veränderte sich der Orden im Laufe der Zeit zur Bildungs- und Erziehungseinrichtung für junge Frauen. Immerhin ein Novum in der Kirchengeschichte, denn, so schreibt Monika Suchan, „in Hildesheim entstand mit dem Magdalenenkloster erstmals für Frauen die Möglichkeit, einer Ordensgemeinschaft anzugehören, noch dazu einer reformierten, die die gesellschaftlichen und spirituellen Herausforderungen der Zeit aufnahm.“
Des Buches Wege durch Zeit und Raum
In mehrfacher Hinsicht ist also das kleine Buch mit dem roten Einband ein wichtiger und als Handbuch für die Ordensfrauen in gewisser Weise auch prägender Zeitzeuge. Inhaltlich entspricht es mit seiner Sammlung von Zitaten und Sentenzen philosophischer und theologischer Autoritäten dem damaligen Wissenschafts- und Didaktikverständnis und doch enthält es gewisse Innovationen, die es zu einem Standardwerk und Lehrbuch der christlichen Mystik werden ließ. Der Weg des Buches von der Bibliothek der Hildesheimer Magdalenen in die Dombibliothek Hildesheim war nicht unbedingt geradlinig. Während es dem Ordensfrauen zunächst rund 400 Jahre zur Kontemplation diente, wurde es um 1800 an das benachbarte Michaelis-Kloster verkauft. Im Rahmen der Säkularisierung gelangte das Buch wohl in Privatbesitz, tauchte ende des 19. Jahrhunderts im Bischöflichen Gymnasium Josephinum wieder auf und wanderte mit dessen historischen Buch- und Handschriftenbeständen in die Dombibliothek Hildesheim. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die „Sieben Wege“ gestohlen. Der Dieb verkaufte das Buch an ein niederländisches Antiquariat, wo es wiederum ein Düsseldorfer Antiquar erwarb, der im Rahmen seiner Recherchen auf dessen Herkunft stieß. 1997 konnte das Buch schließlich für die Dombibliothek zurückgekauft werden.
Das Buch als kulturhistorisches Speichermedium
Ähnlich komplex stellt sich auch die Geschichte der weiteren acht historischen Bücher dar, jedes einzelne prominenter Ausdruck gesellschaftlicher, philosophischer, ökonomischer, technischer und natürlich religiöser Entwicklungsphasen, die den Zeitraum vom 13. Jahrhundert bis ins 18. Jahrhundert, der Zeit der Aufklärung und Naturkunde prägten. Dabei spielen naturgemäß die konfessionellen Konflikte eine bedeutende Rolle, zu denen Leser über die vorgestellten Bücher einen besonderen und im Einzelfall sicherlich auch neuen Zugang erhält. Mit ihren „Buch-Geschichten in Raum und Zeit“ ist der Autorin jedenfalls ein ungewohnter und nicht zuletzt deshalb spannender Beitrag zur Kulturgeschichte gelungen.
Monika Suchan: Buch-Geschichten in Raum und Zeit. Aus der Dombibliothek Hildesheim. Schnell+Steiner 2020. Hardcover, 124 Seiten.
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