Es sind ursprüngliche, wilde und
schwermütige Bilder, die der kirgisische Schriftsteller Tschingis
Aitmatow wortgewaltig in seinen Tiergeschichten zeichnet. Der Autor
entführt den europäischen Leser in eine fremde Welt, inspiriert
durch alte Volkssagen seiner zentralasiatischen Heimat.
Die wilde Welt Kirgisiens
Es sind durchaus besondere Beziehungen,
die Mensch und Tier in Aitmatows Geschichten zueinander haben,
Beziehungen, die die unterschiedlichen Welten in denen die Spezies
leben vor Augen führen. Da ist auf der einen Seite der „tierische
Instinkt“, der zu Nutzen des Menschen gebrochen oder wenigstens
kontrolliert werden muss. Auf der anderen Seite finden sich auch bei
den Menschen gewisse Verhaltensweisen, die mit „Verstand“ und oft
genug auch Empathie so gar nichts gemein haben.
Mehr als nur Tiergeschichten
So wild und hemmungslos die Tiere ihre
Leidenschaften und Natur in teils beinahe verstörender Form auch
ausleben mögen, es ist immer wieder der Mensch, der mit seinem
Verhalten gegenüber Tier und Natur nicht gerade gut weg kommt. Das
gilt nicht nur für den Einzelnen, wie beispielsweise in den
Geschichten von Gülsary dem Passgänger oder dem Kamelhengst
Karanar. In „Die Träume der Wölfin“ rücken die Menschen dem
Lebensraum der Caniden mit schwerem Gerät zu Leibe, hier wie in
vielen der anderen Geschichten zeigt sich die gesellschafts- und
kapitalismuskritische Seite des Autors mit der bewegten Biographie.
Berührend und leidenschaftlich
Immer wieder treffen die Geschichten
mitten ins Herz des Lesers, so beispielsweise die des Dsachaa-Bars.
des Schneeleoparden. Hart, wild und leidenschaftlich ist dieses
Leben, das der Leser geradezu hautnah miterleben darf, ebenso wie
dessen Ende als unumstrittener Herr der Berge. Der emotionalen Seite
der Tiergeschichten kann sich wohl kaum ein Leser entziehen. Die
biographischen Aspekte des Werkes Tschingis Aitmatows vermittelt Dr.
Irmtraud Gutschke in ihrem Nachwort „Mit ihnen allen unter einem
Himmel“. Hier erhält der Leser auch die fachlichen, kulturellen
und historischen Interpretationen zu den einzelnen Tiergeschichten.
Anspruchsvoll
Tiergeschichten sind als Gesamtwerk
eine interessante und berührende Lektüre, auch wenn sie mit ihren
häufigen Bandwurmsätzen ein eher anspruchsvolles und ungewohntes
Leseabenteuer vermitteln. Der Leser sollte die Geschichten zunächst
einfach auf sich einwirken lassen, sich vielleicht vorher mit den
Worterklärungen vertraut machen und auf keinen Fall versäumen, im
Anschluss die Geschichten vor dem Hintergrund Dr. Gutschkes
Erläuterungen noch einmal vor dem geistigen Auge an sich
vorbeiziehen zu lassen. Sicherlich lohnt es sich, vor diesem
Hintergrund, das Buch mehrmals zu lesen.
Tschingis Aitmatow:
Tiergeschichten. Unionsverlag 2020. Gebunden, 186 Seiten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen