Freitag, 10. April 2020

Tschingis Aitmatows Tiergeschichten

Es sind ursprüngliche, wilde und schwermütige Bilder, die der kirgisische Schriftsteller Tschingis Aitmatow wortgewaltig in seinen Tiergeschichten zeichnet. Der Autor entführt den europäischen Leser in eine fremde Welt, inspiriert durch alte Volkssagen seiner zentralasiatischen Heimat.


Die wilde Welt Kirgisiens

Es sind durchaus besondere Beziehungen, die Mensch und Tier in Aitmatows Geschichten zueinander haben, Beziehungen, die die unterschiedlichen Welten in denen die Spezies leben vor Augen führen. Da ist auf der einen Seite der „tierische Instinkt“, der zu Nutzen des Menschen gebrochen oder wenigstens kontrolliert werden muss. Auf der anderen Seite finden sich auch bei den Menschen gewisse Verhaltensweisen, die mit „Verstand“ und oft genug auch Empathie so gar nichts gemein haben.

Mehr als nur Tiergeschichten

So wild und hemmungslos die Tiere ihre Leidenschaften und Natur in teils beinahe verstörender Form auch ausleben mögen, es ist immer wieder der Mensch, der mit seinem Verhalten gegenüber Tier und Natur nicht gerade gut weg kommt. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, wie beispielsweise in den Geschichten von Gülsary dem Passgänger oder dem Kamelhengst Karanar. In „Die Träume der Wölfin“ rücken die Menschen dem Lebensraum der Caniden mit schwerem Gerät zu Leibe, hier wie in vielen der anderen Geschichten zeigt sich die gesellschafts- und kapitalismuskritische Seite des Autors mit der bewegten Biographie.

Berührend und leidenschaftlich

Immer wieder treffen die Geschichten mitten ins Herz des Lesers, so beispielsweise die des Dsachaa-Bars. des Schneeleoparden. Hart, wild und leidenschaftlich ist dieses Leben, das der Leser geradezu hautnah miterleben darf, ebenso wie dessen Ende als unumstrittener Herr der Berge. Der emotionalen Seite der Tiergeschichten kann sich wohl kaum ein Leser entziehen. Die biographischen Aspekte des Werkes Tschingis Aitmatows vermittelt Dr. Irmtraud Gutschke in ihrem Nachwort „Mit ihnen allen unter einem Himmel“. Hier erhält der Leser auch die fachlichen, kulturellen und historischen Interpretationen zu den einzelnen Tiergeschichten.

Anspruchsvoll

Tiergeschichten sind als Gesamtwerk eine interessante und berührende Lektüre, auch wenn sie mit ihren häufigen Bandwurmsätzen ein eher anspruchsvolles und ungewohntes Leseabenteuer vermitteln. Der Leser sollte die Geschichten zunächst einfach auf sich einwirken lassen, sich vielleicht vorher mit den Worterklärungen vertraut machen und auf keinen Fall versäumen, im Anschluss die Geschichten vor dem Hintergrund Dr. Gutschkes Erläuterungen noch einmal vor dem geistigen Auge an sich vorbeiziehen zu lassen. Sicherlich lohnt es sich, vor diesem Hintergrund, das Buch mehrmals zu lesen.

Tschingis Aitmatow: Tiergeschichten. Unionsverlag 2020. Gebunden, 186 Seiten

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen