Der Katalog zur Ausstellung
Mit der Evolution der Pferde bis zur Darstellung des Pferdes in Bild und Buch des 17. Jahrhunderts spannt der Essayband zur Anfang März 2014 beendeten Sonderausstellung „PferdeGeschichten“ des Landesmuseums Natur und Mensch Oldenburg einen weiten thematischen Bogen zum Thema Pferd.Es beginnt mit einem Parforceritt durch die Kulturgeschichte des Pferdes, der obwohl tatsächlich recht kurz, eine ganze Reihe sehr interessanter Aspekte und Informationen beinhaltet, die für den Leser mangels geeigneter Hinweise allerdings nur schwer zu vertiefen sind. Als Beispiel sei hier das letzte deutsche Grubenpferd „Tobias“ genannt, dessen Geschichte 2007 immerhin Anlass und Gegenstand einer Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum für Industriekultur samt erst 2010 publizierten Begleitbuches „Kumpel auf vier Beinen, Grubenpferde im Ruhrbergbau“ war. Der Literaturanhang liefert dem Leser dann Hinweise auf eher wissenschaftliche Publikationen oder Hinweise auf Fachaufsätze zu einzelnen Aspekten des Aufsatzes. Zum Thema Grubenpferde wird jedoch lediglich auf einen Aufsatz „Mikroskopische Untersuchungen an Stäuben aus Lungen von Grubenpferden“ in „Beiträge zur Silikoseforschung“ angeboten, ausgerechnet das Buch „Kumpel auf vier Beinen“ fehlt als Literaturhinweis völlig.
Wie das Pferd zu seinen Hufen kam
Ebenfalls stilistisch und sprachlich gut verständlich, der folgende Beitrag mit dem Titel „Die Evolution der Pferde“. Da kann der Leser nicht nur den Stammbaum oder die verschiedenen Phasen der Ausbreitung auf den europäischen, asiatischen, amerikanischen und afrikanischen Kontinenten, kennenlernen. Der Autor stellt ebenfalls die Veränderungen in Größe, Skelett und Innenleben dar und beschreibt unter anderem am Beispiel der Entwicklung von den Zehen zu den Hufen auch deren biologische, biomechanische und umweltbedingte Grundlagen. Zusammen mit den Illustrationen ein schöner Aufsatz, der von einem Kapitel über die equiden Geisseltalfossilien gefolgt wird.
Zur bei den Propalaeotherien verifizierten „Schultzschen Regel“
Hier sind wir in der Paläontologie gelandet, die ihre Aussagen aus detektivischer und forensischer Kleinstarbeit gewinnt. Wenn der Leser allerdings ständig mit Sätzen konfrontiert wird wie „Sowohl an Zahnreihen aus dem Maxillas- als auch dem Mandibularbereich lässt sich erstmalig die ‚Schultzsche Regel‘ (s.o.) bei den Propalaeotherien verifizieren“, dann wird deutlich, dass er sich die durchweg spannenden Inhalte und Informationen dieses Aufsatzes hart erarbeiten muss. Die wissenschaftliche Unsitte, nach jedem Halbsatz einen literarischen Beleg nach dem Muster (Hellmund 2005: Fig. 4; Hellmund 2013a) einzufügen, vernichtet ebenfalls jeglichen Lesefluss: Publikum für Wissenschaft zu begeistern geht wirklich anders.
Von der Vorzeit bis zum Mittelalter
300.000 Jahre Pferd-Mensch-Beziehung. Die beginnt natürlich mit dem Wildpferd als Jagdbeute. Bereits Homo Erektus dürfte vor rund 2 Millionen Jahren Pferde auf seinem Speiseplan gehabt haben, der Autor des Beitrags nimmt allerdings die altsteinzeitlichen Fundstellen vom niedersächsischen Schöningen zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. 300.000 Jahre sind also die Funde, zu denen neben dem berühmten Speer auch die Reste von über 20 Pferden gehören, deren Auswertung belegt, dass die altsteinzeitlichen Menschen hinsichtlich der Auswahl ihrer equiden Jagdbeute nicht wählerisch waren. Offensichtlich nahm man hinsichtlich Alter und Geschlecht, was man eben kriegen konnte. Ab etwa 35.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung findet sich das Pferd auch in der Höhlenmalerei und auf gravierten Schieferplatten vom Fundplatz Gönnersdorf sind, wie der Autor berichtet, neben Frauen Mammut und Pferd am häufigsten abgebildet. Wie immer diese Aussage auch zu verstehen ist, offensichtlich hat sich das Verhältnis des Menschen zum Pferd bereits verändert und mit der Domestikation, wahrscheinlich um das 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, begann es Schritt für Schritt eine wichtige, sich ständig verändernde Rolle in der menschlichen Kultur einzunehmen. Von Pferdebestattungen bis zu Nutzung von Pferden als Reit- und Arbeitstiere für Ritter und Bauern reicht das inhaltliche und historische Spektrum des flüssig geschriebenen Artikels, dessen Autor sich die geklammerten Quellenhinweise im Text, die für das interessierte Publikum völlig bedeutungslos sind, leider (wie auch weitere KollegInnen) ebenfalls nicht verkneifen konnte.
Der Oldenburger und das Pferd in der Kunst
Erfreulich der Einschub des kurzen Artikels „Vom Wildpferd zum Hauspferd“, der die neuesten Erkenntnisse zu Zeit und Ort der Domestikation des Pferdes vermittelt, denn dieser Aspekt ist in dem Beitrag zuvor doch recht vage geblieben. Einen breiten Raum nehmen die Beiträge zur Pferdezucht – speziell zum Oldenburger und seinen Zuchtverbänden in Vechta sowie zum professionellen Pferdesport ein. Hier wird das Buch erstmals dem Titel Pferdegeschichten gerecht. Denn die Vorstellung der Oldenburger Zuchtlinien weist so manche Anekdote über seine tierischen Helden aus der Reit-, Spring- und Galoppabteilung auf. Ganz ohne Zweifel eine interessante und spannende Angelegenheit.
Am Ende schließlich ein bemerkenswerter Ausflug in die Kunst. Wer kennt sie nicht, die edlen Rösser, imposant auf den Hinterbeinen stehend, ihren Reiter besonders vorteilhaft zur Geltung bringend. Mit zahlreichen Illustrationen dokumentiert die Autorin nicht nur die Veränderungen der künstlerischen Ausdrucksform bei der Darstellung von Pferd und Reiter von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Der Betrachter wird hier ebenfalls an die jeweilige Rolle, die das Pferd sowohl in der künstlerischen Darstellung als auch in der konkreten Verwendung spielt, herangeführt.
PferdeGeschichten ist sicherlich hinsichtlich seines Themenspektrums und seiner Basisinformationen eine interessante Publikation. Wer sich jedoch tiefergehend für die meisten dieser Themen interessiert, ist sicherlich mit anderen Büchern zur Kulturgeschichte des Pferdes beziehungsweise der Mensch-Pferd-Beziehungen – allein in sprachlicher Hinsicht und Lesbarkeit - besser bedient. Die inhaltliche Besonderheit des Buches liegt sicherlich in seinem Bezug zur Oldenburger Pferdezucht und dem darauf basierenden Pferdesport. Das allein reicht aber für eine Empfehlung nicht aus.
Peter-René Becker, Ulf Beichle (Hrsg): PferdeGeschichten. Vom Urpferd zum Sportpferd. Isensee Verlag 2013. Gebunden, 137 Seiten.
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