Das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung
Mehr als 4000 Kilometer erstreckte sich das Reich der Inka entlang der Anden, von Kolumbien bis nach Chile. Bis zu 600 Kilometer reichte das Staatsgebiet in das Landesinnere und das Wegenetz übertraf mit seinen rund 40.000 Kilometern selbst das des Römischen Reiches. Und während die Römer mindestens ein halbes Jahrtausend brauchten, um das Reich auf seine größte Ausdehnung zu bringen, lösten die Inka diese Aufgabe im Laufe von nur rund 200 Jahren.Etwa um 1400 war es einer in das Tal von Cusco eingewanderten Bevölkerungsgruppe gelungen, durch Heirat, Bündnisse und gewaltsame Unterwerfung das Tal und seine weitere Umgebung vollständig unter ihre Kontrolle zu bringen. Die darauf folgende erste große Expansionsbestrebung der als Inka bezeichneten Bevölkerungsgruppe, richtete sich in Richtung Titicacasee, heute eine der ärmsten Orte in den Anden. Damals allerdings sorgte ein gerade eingetretener Klimawandel dafür, dass die Hochebene des Titicacasees wirtschaftlich sehr interessante Gegend war. Hier lag wahrscheinlich das Zentrum der Domestikation der Kartoffel – gegenwärtig gibt es dort mehr als 400 Arten – und weiterer Fett- und Proteinhaltiger Nahrungspflanzen. Und das etwa 4000 Meter über dem Meeresspiegel liegende Plateau war auch ein Domestikationszentrum der die für die Transportwirtschaft im gesamten südwestamerikanischen Zivilisationsbereich unersetzlichen Kameliden, die Lamas und Alpakas.
Die Leute, die vom Altiplano kamen
Die strategische Kontrolle über Verkehrswege, Transportmittel und wirtschaftliche Ressourcen –einschließlich der menschlichen Arbeitskräfte – war nicht der einzige Grund für die Eroberung des Altiplano, des Beckens des Titicacasees. Immerhin waren die Inka ursprünglich aus der Region Colla, nahe dem Titicacasee in das Tal von Cusco eingewandert. Und diese Herkunft wussten sie später geschickt mit einem sorgfältig konstruierten Ursprungsmythos, zu verbinden, der als Zwangsreligion zur Legitimation der Inkaherrschaft diente. Denn der Titicacasee war seit Jahrtausenden ein zentraler spiritueller Ort der altperuanischen Kulturen, die immerhin eine 4500 Jahre alte voreuropäische Geschichte vorweisen können. Die Inka waren beileibe nicht die ersten Kulturgründer und schon gar nicht die ersten Reichs- beziehungsweise Staatsgründer. Diesen Aspekt und damit die Grundlagen des Aufstiegs und der Expansion der Inka behandeln die ersten drei Aufsätze des Buches „Inka. Könige der Anden.“
Kameliden als Grundlage des Andenreiches
Schritt für Schritt führen die Autoren in ihren Essays den Leser durch die komplexe Materie. Und das ist auch notwendig, denn Vieles scheint nur auf den ersten Blick vertraut und Vergleiche mit Altweltkulturen wie Römer oder Pharaonen zu erlauben. Aber bereits bei dem Transportsystem, das ohne Rad und Wagen ausschließlich auf Lama- oder Alpakakarawanen beruhte oder beim Kommunikationssystem mit seinen Knotenschnüren als Informationsträger wird dem Leser die Unvergleichlichkeit der neuweltlichen Zivilisationsstrukturen bewusst. Natürlich gibt es bestimmte Grundlagen einer funktionierenden gesellschaftlichen Organisation und Herrschaftsausübung im Rahmen staatlicher Strukturen. Dazu gehören Regeln (und ihre Durchsetzung) des Verhältnisses der einzelnen Gesellschaftsmitglieder und gesellschaftlichen Gruppen zueinander, Machtinstrumente, gemeinsame Werte (repräsentiert durch moralische Gesetze und gemeinsame Wertvorstellungen) und nicht zuletzt eine möglichst effektive Verwaltung.
Die Inka waren echte Integrationskünstler
Das alles hatten die Inka zur Perfektion entwickelt, mit Konzepten, die uns heute in verschiedener Hinsicht Respekt und Staunen abverlangen und trotz aller Plausibilität in den Erläuterungen der Autoren immer wieder die Frage aufwerfen: „wie konnte das in dieser Größenordnung funktionieren?“ Die Inka kontrollierten schließlich keine homogene Kultur, sondern mussten herrschafts- und verwaltungstechnisch immerhin ganz unterschiedliche (durchaus hochentwickelte) Zivilisationen, Ökonomien und Naturräume unter einen Hut bekommen. Es war wohl die Fähigkeit der Inka, verschiedene gesellschaftliche Systeme, von den hierarchischen, hoch arbeitsteiligen Strukturen der Küstenkulturen bis zu den kooperativen Verwandtschaftsorganisationen der Andenregion, den ayllus, in ihr Herrschaftssystem zu integrieren. Die infrastrukturellen Voraussetzungen zum Kultur- Informations- und Warenaustausch zwischen den Zentren der Anden und der Küste von Ecuador bis Chile waren mit dem von den Andenhirten bis zum Ende des ersten vorchristlichen Jahrtausends etablierten und kontrollierten tierischen Transportsystems zur Zeit des Aufstiegs der Inka längst gegeben.
Inka, Könige der Anden: vielseitig, lesenswert, überraschend
Egal, welches Thema die Autoren des Essaybandes behandeln, es eröffnet dem Leser immer wieder neue Perspektiven auf die faszinierende Andenkultur, die uns bislang vor allem in Zusammenhang mit der europäischen Kolonialisierung, und aus den Berichten und damit Interessen europäischer Granden und Missionare bekannt ist. Die Autoren des Buches befassen sich aber mit der voreuropäischen Inkazeit und messen die historischen Quellen vor allem an den archäologischen Erkenntnissen. Sie stellen das südamerikanische Staatsgebilde damit in den eigenen kulturellen Zusammenhang und seine Jahrtausende alte Vorgeschichte, statt es aus dem europäischen Blickwinkel zu interpretieren. Und obwohl die Inka keine eigenen schriftlichen Quellen hinterlassen haben, vermitteln die Autoren eine Menge Informationen zu Mythologie, Religion, Rituale, Ökonomie, Verwaltung, Infrastruktur, Herrschaft, Gesellschaft, Architektur und anderes mehr. Die Kultur der Inka wirklich zu verstehen, wird damit nicht viel einfacher, denn sie ist in vieler Hinsicht einfach anders als es unsere Altweltkulturen waren/sind.
Doris Kurella, Inés de Castro (Hrsg): Inka, Könige der Anden. Philipp von Zabern 2013. Gebunden, 347 Seiten.
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