Sonntag, 14. Februar 2016

Die Mainzer Kaufhausordnung aus dem 15. Jahrhundert

„… daz sall man nyrgent anderst wiegen dan in dem kauffhuß“

027Vom frühen 14. Jahrhundert bis zu seinem Abriss Anfang des 19. Jahrhunderts, zierte ein Gebäude die Stadt Mainz, das in der Literatur als „Altes Kaufhaus auf dem Brand“ bezeichnet wird. Mit ihrer wissenschaftlichen Edition der Mainzer Kaufhausordnung, einer über 500 Jahre alten Handschrift, eröffnen die Autoren Stefan Grathoff und Elmar Rettinger nun einen spannenden Einblick in die Wirtschaftsgeschichte im mittelalterlichen Mainz.

Die Zusammenfassung und regelmäßige Aktualisierung der zuvor mündlich tradierten oder in Form verschiedener Niederschriften festgehaltenen Vorschriften in einem Codex in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, fällt in eine Zeit, da Mainz gegenüber der aufstrebenden Messestadt Frankfurt wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten war. Auch wenn sich bei den Patriziern, Bürgern und Geistlichen der Stadt teilweise beachtliche Reichtümer ansammelten, war Mainz selbst zu Anfang des 15. Jahrhunderts hoch verschuldet. Die schriftliche Festlegung der Mainzer Kaufhausordnung hatte vor allem den Zweck, wieder mehr Kontrolle über die gebührenträchtigen Warenströme zu erlangen.

Steuereinnahmen auf „ewige Zeiten“

Entstanden war das Kaufhaus bereits Anfang des 14. Jahrhunderts, als es der Stadt gut ging und die Einnahmen aus Zöllen, Handel, Warenverkehr und Immobilienhandel reichlich flossen. In einer Urkunde von 1317 gewährte der römisch-deutsche König Ludwig der Bayer den Mainzer Bürgern das Recht „in dem Kaufhaus die erwähnte gemäßigte Steuer auf den Verkauf von Waren rechtmäßig auf ewige Zeiten in Besitz zu nehmen“. Neben dem spätestens seit 1278 auch in Mainz erhobenen Landfriedenszoll, den alle Schiffe am Zollturm in Vilzbach entrichten mussten, eigentlich eine solide Basis für die städtischen Einnahmen, wenn da nicht das Problem mit dem Stapelrecht gewesen wäre. Offiziell mussten nämlich nur Kohle und Holz in Mainz ausgeladen und zum Verkauf angeboten werden. Auch das war bei dem damaligen Energiebedarf zwar sehr einträglich, im Vergleich zu möglichen Einnahmen aus einer allgemeinen Stapelpflicht für den Rat der Stadt jedoch längst nicht zufriedenstellend.

Statt Stapelrecht Einführung der Umschlagpflicht

Heute würde man die Maßnahmen, die die Stadt zur Verbesserung der Finanzlage ergriff, als kreative Steuer- bzw. Gebührenpolitik bezeichnen, denn statt des vergeblich angestrebten Privilegs des allgemeinen Stapelrechts, erfanden die Mainzer – wie viele ihrer Kollegen in anderen Städten vergleichbarer Rechtslage – die Umschlagpflicht. Mit der nachdrücklichen Aufforderung an die vorbeifahrenden Schiffe, ihre Waren im Mainzer Hafen – wegen der gefährlichen Strömungen, Klippen, Untiefen und Stromschnellen - aus- und in Schiffe der ortskundigen Mainzer Gilde umzuladen, gelang es der Stadt, sich als alleiniger Umschlaghafen zwischen Köln und Straßburg zu etablieren. Pest, Krieg, politische Rahmenbedingungen und Veränderungen innerhalb der europäischen Waren- und Geldströme sorgten dafür, dass Mainz Anfang des 15. Jahrhunderts seine bisherige wirtschaftliche Position im Rhein-Main-Gebiet an das zum bedeutendsten Wirtschaftsstandort Mitteleuropas herangewachsene Frankfurt abgeben musste.

Ein Kaufhaus für den Großhandel

Um der Verschuldung Herr zu werden, schufen die Ratsherren der Stadt die Mainzer Kaufhausordnung mit detaillierten Angaben zu Gebühren, Tätigkeitsbereichen der Kaufhausbediensteten und Vorschriften und Gepflogenheiten des Kaufhauslebens. Dabei fassten sie zunächst den Status Quo zusammen und dokumentierte alte Bestimmungen und Gewohnheiten, die im Laufe der Zeit um weitere Eintragungen ergänzt wurden. Bei der Lektüre der ins moderne Deutsch übertragenen Transkription des Originaldokuments, das im Buch zudem als fotografische Wiedergabe vorliegt, wird deutlich, dass das Kaufhaus eigenständiger aber vernetzter Bestandteil des gesamten Mainzer Marktgeschehens war. So diente das repräsentative Kaufhausgebäude nicht nur als Safe für besonders wertvolle Waren, sondern hier spielte sich vor allem der Großhandel ab. Klar, dass auch die Zuständigkeiten im Verhältnis zum Einzelhandel der Stadtmärkte geregelt werden mussten. So hatten beispielsweise die Hausmeister, die im Auftrag des Stadtrates für das Kaufhaus zuständig waren, die alleinige Weisungsbefugnis gegenüber den Wiegern. Auf deren Waagen mussten (jedoch) auch die Güter der Stadtmärkte gewogen werden, die wiederum den erzbischöflichen Bürger- und Rentmeistern unterstanden.

Der Unterverkäufer des Mainzer Kaufhauses, ein (Großhandelsfach)Makler mit besonderen Pflichten

Dass die Marktverhältnisse kompliziert waren, zeigen die detaillierten Bestimmungen darüber, wer unter welchen Bedingungen wofür zuständig war. Dabei erschließt sich dem Leser ein ganzes Spektrum spezieller Berufe, die mit dem Kaufhausbetrieb verbunden waren. An dieser Stelle sei nur der Unterkäufer genannt, eine Art Makler, der im Interesse von Käufer und Verkäufer die Qualität der Ware und ihre ordnungsgemäße Wiegung bzw. Abmessung kontrollierte und natürlich die entsprechenden Gebühren für die Kaufhauskasse einzog. Unterkäufer waren Spezialisten für bestimmte Warengruppen wie beispielsweise gesalzenes Gut, Stoffe, Fette, Leder oder Garne. Wie alle Kaufhausmitarbeiter mussten auch die Unterkäufer einen Eid leisten. Eid und weitere in der Kaufhausordnung aufgeführte Regelungen sollten sicherstellen, dass die Kunden nicht übervorteilt wurden. Sei es dadurch, dass beispielswiese der Unterkäufer selbst Teilhaber oder Besitzer der verhandelten Ware war, sei es, dass er den Kaufleuten zu hohe Gebühren abknöpfte (und den Überschuss natürlich in die eigene Tasche steckte).

Kaufhausordnung diente als Kontrollinstrument

Geldstrafen bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes waren die Sanktionen, die in der Kaufhausordnung für Pflichtverstöße aufgeführt waren. So kostete der Verstoß der Unterkäufer gegen ihre Pflicht, von der Öffnung des Kaufhauses bis zu dessen Schließung präsent zu sein und sich „um die Leute zu kümmern“, fünf Schillinge, es sei denn der Delinquent konnte einen triftigen Grund für seine Abwesenheit vorbringen. Bei einer Provision, deren Anteil am den einzelnen vereinnahmten Gebühren im Pfennigbereich lag, war das schon eine empfindliche Strafe. Vor allem aber ging es um Kontrolle. Kein Pfennig, sei es vom Zoll, von Wiege-, Transaktions- Lager-, Transport- und andere Dienstleistungsgebühren sollte den Stadtkämmerern verlorengehen. Und so hatten beispielsweise die Eisenwieger auch die Pflicht „wann immer [er] bemerkt, dass ein Bürger Eisen in die Stadt bringt, ist er verpflichtet und schuldig, ihm beharrlich nachzufolgen, in Erfahrung zu bringen, wem das Eisen gehört, und dies den Hausmeistern mitteilen.“

Ein Printbuch mit „Internetanschluss“

So trocken der Titel „Die Mainzer Kaufhausordnung aus dem 15. Jahrhundert“ auch klingt, die Lektüre ist tatsächlich spannend. Das gilt nicht nur für die unglaubliche Vielfalt an aufgelisteten Waren, sondern auch für die Kontroll- Pflicht- und Handelsstrukturen mittelalterlicher Wirtschaftszentren, die sich dem Leser erschließen. Und der wird in diesem Buch mit den teils fremdartigen Güternamen, Berufsbezeichnungen und Gebührenstrukturen nicht allein gelassen. Neben der Einführung mit nützlichen Verweisen zum Originaltext, die die wirtschaftlichen, politischen und historischen Hintergründe zur Mainzer Kaufhausordnung beleuchtet, finden sich ein sehr ordentliches Glossar und - geradezu innovativ – QR-Codes am Textrand, mit denen der Smartphone- oder Tabletbesitzer während des Lesens zusätzliche Hintergrundinformationen zu einzelnen Aspekten von einer speziellen begleitenden Internetseite http://www.kaufhaus-am-brand.de aufrufen kann.

Stefan Grathoff, Elmar Rettinger: „… daz sall man nyrgent anderst wiegen dan in dem kauffhuß“. Die Mainzer Kaufhausordnung aus dem 15. Jahrhundert. Nünnerich-Asmus 2013. Gebunden, 334 Seiten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen