ein Buch über japanische Bogenschützen und den Mythos einer legendären Waffe
Ähnlich wie die japanischen Schwerter umgibt die Bogen der asiatischen Insel seit dem mythologischen Zeitalter Nippons ein besonderer Nimbus. Er ist nicht nur die Waffe der Götter und ersten Kaiser, sondern auch der großen Helden des japanischen Mittelalters. Die sind es auch, die sich in der japanischen Holzschnitz- und Theaterkunst wiederfinden. und so ist es dem Autor des Buches gelungen, die Magie des japanischen Bogens in den Sagen und Legenden mit dem kulturellen Ausdruck der bürgerlichen Epoche Japans, dem Schauspiel und den Holzschnitten vor allem der Edo-Zeit zusammenzuführen.Der Autor Johannes Haubner beginnt das Buch mit dem Bogen als Waffe der Götter in der Mythologie des Shinto (Weg der Götter). Da streiten sich die göttlichen Wesen des Himmels mit den Erdgottheiten um die Macht, verschießen dabei magische Pfeile, die, mit mächtigen Flüchen belegt, ein interessantes Eigenleben entwickeln. Amaterasu, die Urmutter des Sonnengeschlechtes und aller japanischen Kaiser trägt als erste der Himmlischen Pfeile und Bogen. Kein Wunder, dass Pfeil und Bogen in der auf animistischen Vorstellungen fußenden japanischen Mythologie nicht nur Jagd- und Kriegswaffe ist, sondern – wie viele andere Gegenstände auch – spirituelle Kräfte besitzt. Sogar als göttliches Musikinstrument ist der Bogen zu gebrauchen und die Pfeile sind entsprechenden Legenden zufolge sogar dazu geeignet Prinzessinnen zu schwängern. Pfeil und Bogen können in der Hand von Schamanen als Shintoyorishiro (Gegenstände mit der Fähigkeit, Geister anzuziehen) die Verbindung zur Geisterwelt herstellen.
Der Bogen als Waffe und Brücke zur Geisterwelt
Und dennoch rankt sich ein großer Teil der Legenden um die mörderische Seite der magischen Distanzwaffe. Das ist auch kein Wunder, denn die japanische Gesellschaft war vom Beginn des Yamato-Reiches an von einer Kriegerkaste geprägt. Deren Helden widmeten sich zwar auch der Dichtkunst und shintoistisch-buddhistisch oder konfuzianisch geprägten Zeremonien, bis zur Errichtung des Tokugawa-Shogunats, war Nippon jedoch vor allem von unzähligen mit militärischen Mitteln ausgetragenen Machtkämpfen der Kriegereliten geprägt. Auch das Buch „Die Macht des Bogens“ hat seinen Schwerpunkt in den Schlachten und Heldentaten der Kriegerfürsten des japanischen Mittelalters, bindet diese jedoch immer wieder in die politischen, historischen und spirituellen Hintergründe ein.
Von der göttlichen Waffe zum bürgerlichen Freizeitspielzeug
Mit dem endgültigen Sieg des Tokugawa-Clans über seine Konkurrenten und dem Anbruch der nach der neuen Hauptstadt genannten Edo-Zeit, wandelte sich die Rolle der Kriegerelite und die Struktur der Gesellschaft. In den ständig wachsenden Städten – allen voran Edo (das heutige Tokio) entwickelte sich eine breite Bürgerschaft, Samurai wurden zu adeligen Staatsbeamten und aus der bis ins 16. Jahrhundert weitgehend höfischen Kultur entstand das Schauspiel, der Farbholzschnitt oder die Literatur für die städtische Bevölkerung. Thema waren nach wie vor die Heroen der Vergangenheit, Mythen, Dramen oder Liebesgeschichten. Romantisch verklärt und idealisiert, erfüllten die Schauspieler ihre Protagonisten und Akteure alle Voraussetzungen für eine florierende Unterhaltungsindustrie. Deren Bilder (oft Werbeplakate, Fanposter, Buchillustrationen) in Form von Farbholzschnitten, die Schauspielszenen oder beliebte Schauspieler in ihren Kostümen darstellten, bilden die Grundlage für die reichhaltige Illustration des Buches „Die Macht des Bogens“.
Der japanische Bogen lebt auch in der modernen Gesellschaft weiter
Auch der Bogen – einst dem Adel vorbehalten – fand nun über die Unterhaltungsindustrie Eingang in das bürgerliche Leben. Allenthalben fanden Schießwettbewerbe statt, Jagden und Bogenspiele, die kaum noch etwas mit dem ursprünglichen Charakter der göttlichen Waffe zu tun hatten. Aber auch der spirituelle Aspekt lebte in den zahlreichen shintoistischen Zeremonien und Bogenwettkämpfen, die das Jahr begleiteten, oder in den Regeln der Bogenschulen weiter. Die Kulturgeschichte des japanischen Bogens entspricht in weiten Teilen der Waffenverehrung, die ebenfalls in anderen Kulturen zu finden ist. Aber das japanische Inselreich weist diesbezüglich auch eine ganze Reihe von Besonderheiten auf, deren Wesen und Komplexität der Autor in seinem Buch umfassend herausarbeitet. Bei der Lektüre des Buches wird der Leser nicht nur mit den zahlreichen Mythen und Legenden versorgt, in denen Pfeil, Köcher und Bogen eine wesentliche Rolle spielen, sondern er erhält auch einen soliden Einblick in die so fremdartig erscheinende japanische Kultur und Geschichte.
Man muss sich also wirklich nicht für Pfeil und Bogen interessieren, um an diesem ungewöhnlichen Buch über die japanische Kultur und Geschichte Gefallen zu finden. Vor allem auch deshalb, weil das Buch viele Informationen und Geschichten enthält, die dem interessierten Leser ansonsten eher über spezielle englischsprachige Literatur zugänglich ist.
Johannes Haubner: Die Macht des Bogens. Japanische Bogenschützen im Spiegel alter Holzschnitte. Verlag Angelika Hörnig 2014. Gebunden 263 Seiten.
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