Beziehungen von Mensch und Tier im
Wandel
Human Animal Studies, also
Untersuchungen zu Mensch-Tier-Beziehungen haben in den letzten Jahren
nun auch in Deutschland ihren Platz in der Forschungslandschaft
gefunden. Mit Boten, Helfer und Gefährten präsentiert das
LWL Industriemuseum im Rahmen einer Ausstellung und des gleichnamigen
Begleitbuches Ergebnisse des Forschungsverbundes Arbeitskreis
Mensch und Tier im Ruhrgebiet unter der Perspektive der
Mensch-Tier-Beziehungen im Rahmen der Industrialisierung. Dass dabei
regionale Besonderheiten im Zentrum stehen, versteht sich von selbst.
Es scheint auf den ersten Blick
paradox, dass ausgerechnet im Zeitalter der Industrialisierung, die –
wie wir gelernt haben - unter anderem durch die Ablösung tierischer
Arbeitskraft durch Maschinen geprägt ist, Tieren sowohl in der
Produktion als auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen in ganz
verschiedenen Rollen eine besondere Bedeutung zukommt. An vier
Beispielen untersuchen die Autoren die dynamischen
Mensch-Tier-Beziehungen und die wesentliche Rolle bestimmter
Tierarten als Motor und Katalysator im Verlaufe der Industriellen
Revolution. So beschreibt Dietmar Osses, Leiter des
LWL-Industriemuseums Zeche Hannover in Bochum die erstaunlichen
Beziehungen von Menschen und Tauben in Westfalen und im Ruhrgebiet.
Die patriotische Taube in der
Großstadtgosse
Als Symbol der Hoffnung und des
Friedens verehrt oder als Ratten der Lüfte verachtet, das
Mensch-Taube-Verhältnis ist außerordentlich ambivalent. Immerhin
sind die Vorfahren, der „wilden“ Stadttauben, die heute unter
erbärmlichen Bedingungen ihr Leben fristen müssen, einst als
Kriegshelden verehrt, die Brieftaubenzucht offiziell als patriotische
Großtat gefeiert worden. Doch Bereits vor den großen industriellen
Kriegen spielten die Tauben als Boten eine nicht zu unterschätzende
Rolle. So bediente sich Paul Julius Reuter, der Gründer des
legendären Nachrichtendienstes, bereits um 1850 der Brieftauben, um
die Lücken zwischen dem preußischen und dem belgischen
Telegrafennetz zu schließen und damit die Nachrichtenverbindung
zwischen den Börsen in Paris und Berlin herzustellen. Die
Brieftaubenzuchtvereine finden in jener Zeit ebenso ihren Ursprung
wie die Kleinviehhaltung in den Häusern der Arbeitersiedlungen.
Geliebt, gepflegt, geschlachtet
Julia Bursa und Dr. Lars Winterberg
befassen sich in Ihren Aufsätzen mit den unterschiedlichen Aspekten
der Mensch-Schwein Beziehung. Die Reise beginnt vor gar nicht allzu
langer Zeit, als Fleisch bei uns noch nicht überall zu jeder Zeit in
beliebiger Menge als Massenkonsumprodukt verfügbar war. Das
behandelte Spektrum reicht von der Schweinehaltung im Arbeiterhaus
und die persönliche Beziehung der Menschen zu ihrem Essen, über die
Hausschlachtung bis hin zur industriellen Massenfleischproduktion mit
der Anonymisierung der Tiere und des Schlachtvorgangs, der
Wildschweinjagd und die entsprechenden Folgen wie Tiertransporte,
Krankheiten, Fehlernährung und nicht zuletzt Klimawandel und
Artensterben. Auch die Pressesprecherin der Firma Tönnies kommt zu
Wort, mit einer Darstellung, wie sich der inzwischen in Verruf
geratene Massenschlachter beim Schlachtprozess in besonderer Weise um
das Tierwohl verdient macht.
Das Pferd, der biologische
Industrialisierungsmotor
Jana Golombek und Anja Schwanhäuser
befasse sich in ihren Beiträgen mit dem Pferd. Das genießt in
Westfalen bekanntlich einen besonderen Stellenwert. Nicht nur in den
Kriegen waren Pferde unverzichtbare Begleiter, Transport- und
Mobilitätsmittel. Auch unter Tage, bei der Gewinnung des schwarzen
Goldes und Treibstoffes der Industrialisierung spielten die
Grubenpferde eine zentrale Rolle, ebenso wie die Zugpferde, die vor
der flächendeckenden Elektrifizierung die Arbeitermassen mit den
Straßenbahnen zu ihren Arbeitsstätten brachten. Arbeiten mussten
die Pferde auch für das Freizeitvergnügen der arbeitenden
Bevölkerung. Die heute teilweise legendären Galopp- und
Trabrennbahnen entstanden in dieser Zeit. Obwohl sie ihre
industrielle Funktion verloren haben, erfreuen sich Pferde einer
ungebrochenen Beliebtheit, ihre gesellschaftliche Rolle hat sich
allerdings weitgehend gewandelt. Die Autorinnen behandeln daher unter
anderem auch Aspekte wie Pferde (mädchen) in der Popkultur und im
modernen Reit- und Freizeitsport.
Hausbienen und Wildbienen in
menschlichem Umfeld
Lisa Egeri und Felix Remter befassen
sich mit den Bienen. Dabei erfährt der Leser Spannendes und
Erstaunliches über historische und aktuelle Formen und Methoden der
Imkerei, also der Hausbienenzucht aber auch über die Wildbienen,
ihre Gefährdungen, Ökologie und interessante Forschungsprojekte bis
hin zur Rückkehr zur Wildbienenimkerei.
Immer wieder geht es in dem Buch aber
auch um die Diskussion der Abgrenzungen zwischen Wild- Haus- und
Nutztier, ein Thema, dass in ganz besonderer Weise die
Mensch-Tier-Beziehungen prägt und prägte.
Im Anhang des Buches finden sich
schließlich anhand der Ausstellungsobjekte Vertiefungen zu
Einzelaspekten. Insgesamt einen lohnende, weil mit vielen
überraschenden Informationen aufwartenden Lektüre, die allerdings
auch offenbart, wie komplex und teilweise noch diffus das „neue“
Forschungsgebiet der Human-Animal-Studies ist.
Lisa Egeri, Dietmar Osses
(Hrsg.): Boten, Helfer und Gefährten. Beziehungen von Mensch und
Tier im Wandel. Klartext Verlag 2020. Hardcover, 224 Seiten
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