Erstaunliche Einblicke in eine
geheimnisvolle Welt
Viele Menschen lieben das Meer, aber
die wenigsten von ihnen wissen, was da alles abgeht. Angefangen auf
der Oberfläche bis in die tiefsten Tiefen tobt (nicht immer im
wörtlichen Sinne) das Leben. Auch dort, wo wir es nicht vermuten
oder dort, wo wir es nicht erkennen. Die Meeresbiologin Frauke
Bagusche liefert dem Leser tatsächlich, wie es der Titel verspricht,
erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt. Das Ergebnis:
Staunen, Respekt und Sorge.
Eine Welt voller Plankton
Ausgerechnet mit den nur scheinbar
unscheinbarsten Bewohnern des Meeres, dem Plankton, beginnt die
Autorin ihren Tauchgang in den für den Menschen wohl wichtigsten
Teil der Biosphäre dieser Erde. Plankton, das ist zunächst das
schwebende, mit den Strömungen treibende, zu keiner oder nur zu
wenig Eigenbewegung fähigen Leben pflanzlicher oder tierischer
Natur. Algen gehören ebenso dazu wie die kleinen Krebstierchen, die
als Krill bezeichnet werden und beispielsweise Hauptnahrungsmittel
der Bartenwale sind. Auch wir Menschen schlucken, wie die Autorin
genüsslich eröffnet, beim Baden im Meer gelegentlich größere
Mengen der Kleinstlebewesen. Immerhin tummeln sich in einem Liter
Meerwasser bis zu 10 Milliarden Virenpartikel, 1 Milliarde
Bakterienzellen, 10 Millionen Phytoplankter (also pflanzliche
Lebewesen) und 1000 Zooplankter (also tierische Individuen). Kein
Grund zum Ekeln, denn auch in Kosmetika oder
Nahrungsergänzungsmitteln oder sogar Medikamenten finden sich
sogenannte bioaktive Komponenten aus dem Meer.
Das Geheimnis der Unsterblichkeit
Es ist die Masse dieser Lebewesen, die
abgesehen von ihrem Nutzwert als Nahrung durch ihre unglaublichen
Leistungen das Leben auf unserem Planeten sicherstellen. Mit der
Bindung von ca. 108 Gigatonnen CO2 steht das Phytoplankton der
Photosytheseleistung der Landpflanzenmasse (ca. 123 Gigatonnen) kaum
nach. Und tatsächlich spielen die winzigen Pflanzenpartikel des
Meeres eine wichtige Rolle beim Klima. Das nämlich können sie
sogar aktiv beeinflussen. Aber Plankton ist nicht nur auf der
Mikroebene spannend. Schließlich gehören auch Quallen zu dem
tierischen Treibgut. Und auch die bergen faszinierende Geheimnisse,
unter anderem das der Unsterblichkeit. Tatsächlich haben
Wissenschaftler eher zufällig entdeckt, dass die knapp drei
Millimeter große Meduse Turritopsis dohrnii aufgrund ihres
Reproduktionsverhaltens biologisch unsterblich ist. Und wer ist wohl
für das schon in den frühneuzeitlichen Reiseberichten beschriebene
Meeresleuchten verantwortlich? Natürlich Plankton.
Krankenstationen und Wellnessoasen
für Fische
So unendlich weit, wie uns die Ozeane
erscheinen, ist auch das Spektrum dessen, was es über die
Geheimnisvolle Welt des blauen Wunders zu berichten gibt. Da gibt es
das vielschichtige Leben der Korallenriffe und ihrer Bewohner mit
ihren Symbiosen, Parasitismen und dem unerbittlichen Jagdgeschehen.
Fische verändern bei Bedarf ihr Geschlecht, brüllen, babbeln,
brummen, klicken oder fauchen sich an und lassen sich von
Putzerfischen und Putzergarnelen ihre Wehwehchen behandeln oder
unterziehen sich einer Wellnesskur. Vor den "Praxen" der
maritimen Gesundheitsdienstleister gibt es regelrechte
Warteschlangen. Aber auch die Korallen selbst erscheinen bei der
Lektüre im buchstäblichen Sinne in einem neuen Licht. So beschreibt
Frauke Bagusche unter anderem die Fähigkeit der Korallenorganismen
Fluoreszenz zu erzeugen. Und wie bei allen von ihr dargestellten
Aspekten geht sie auch hierbei thematisch in die Tiefe, beschreibt
die physikalischen und biologischen Hintergründe und nicht zuletzt
die Bedeutung und Zusammenhänge für das Klima und das Leben auf
unserer Erde.
Das Detail und das große Ganze
Der Blick auf das faszinierende
Einzelne und dessen Einordnung in das große Ganze ist eine der
Stärken dieses Buches. Das trifft natürlich auch auf den Abschnitt
Unendliches Blau zu. Da geht es um das Element Wasser und
dessen einzigartige Eigenschaften, aus denen nicht nur die
unterschiedlichen Salzgehalte der Meere, sondern auch der prägende
Einfluss auf unser Klima hervorgeht. Und nicht zuletzt tauchen hier
die Wesen auf, die wir mit dem Meer eigentlich verbinden: Wale,
Delfine, allerlei Fische oder Schildkröten. Auch vor der
Geheimnisvollen Tiefsee macht die Meeresbiologin nicht halt und
präsentiert dem Leser Tiefseemonster, Biolumineszenz, Bodenschätze
und Riffe aus Glas. Mit Sex and the Sea führt die Autorin den Leser
in die wundersame Welt des meerestierischen Reproduktionsverhaltens.
Dabei enthüllt sie auch die dunklen Seiten so manches unserer
vermeintlichen Kuscheltiere der Meere. So schreibt die Autorin:
"Seeotter mögen zwar zu den niedlichsten Tieren auf diesem
Planeten gehören, aber unter ihrem seidigen Fell versteckt sich ein
dunkler Charakter - zumindest unter dem Fell der männlichen
Seeotter.
Weltuntergang
So weit zu den Aspekten Staunen und
Respekt. Sorge macht sich beim Leser breit, wenn die Meeresbiologin
kompetent und eindringlich darstellt, warum das Blaue Wunder in
Gefahr ist. Die biologischen und physikalischen
Regulationsmechanismen der nur scheinbar unendlichen Weiten sind im
Rahmen der menschlichen Aktivitäten längst an ihre Grenzen
gekommen, ja in vielen Bereichen bereits irreversibel überfordert.
Da geht es um CO2 - Ausstoß, Verbrauch nachwachsender Rohstoffe,
Nitratbelastung, Plastikmüll und all die Dinge, die eigentlich
längst bekannt sind. Aber nach der Lektüre des Buches beginnt der
Leser die Problematik auch zu begreifen. Denn der Autorin gelingt es
und unterhaltsamer Weise eben nicht nur Anekdoten zu einzelnen
Aspekten aneinanderzureihen, sondern dabei gleichzeitig komplexe
Zusammenhänge zu vermitteln. Dabei überträgt sich die zwischen den
Zeilen durchscheinende Begeisterung der Autorin für die wunderbare
Meereswelt von Abschnitt zu Abschnitt auf den Leser. Die Erkenntnis
der gravierenden Bedrohung dieser, unserer Lebensgrundlage, wirkt
daher schon beinahe verstörend.
Ein sehr gelungenes Werk, bei dem der
Leser wie das Plankton im Strom der.Worte einfach mitgerissen wird.
Frauke Bagusche: Das Blaue
Wunder. Erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt.
Ludwig Verlag 2019. Gebunden mit Schutzumschlag, 319 Seiten
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen