Mittwoch, 3. Juli 2019

Das Blaue Wunder

Erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt

Viele Menschen lieben das Meer, aber die wenigsten von ihnen wissen, was da alles abgeht. Angefangen auf der Oberfläche bis in die tiefsten Tiefen tobt (nicht immer im wörtlichen Sinne) das Leben. Auch dort, wo wir es nicht vermuten oder dort, wo wir es nicht erkennen. Die Meeresbiologin Frauke Bagusche liefert dem Leser tatsächlich, wie es der Titel verspricht, erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt. Das Ergebnis: Staunen, Respekt und Sorge.


Eine Welt voller Plankton

Ausgerechnet mit den nur scheinbar unscheinbarsten Bewohnern des Meeres, dem Plankton, beginnt die Autorin ihren Tauchgang in den für den Menschen wohl wichtigsten Teil der Biosphäre dieser Erde. Plankton, das ist zunächst das schwebende, mit den Strömungen treibende, zu keiner oder nur zu wenig Eigenbewegung fähigen Leben pflanzlicher oder tierischer Natur. Algen gehören ebenso dazu wie die kleinen Krebstierchen, die als Krill bezeichnet werden und beispielsweise Hauptnahrungsmittel der Bartenwale sind. Auch wir Menschen schlucken, wie die Autorin genüsslich eröffnet, beim Baden im Meer gelegentlich größere Mengen der Kleinstlebewesen. Immerhin tummeln sich in einem Liter Meerwasser bis zu 10 Milliarden Virenpartikel, 1 Milliarde Bakterienzellen, 10 Millionen Phytoplankter (also pflanzliche Lebewesen) und 1000 Zooplankter (also tierische Individuen). Kein Grund zum Ekeln, denn auch in Kosmetika oder Nahrungsergänzungsmitteln oder sogar Medikamenten finden sich sogenannte bioaktive Komponenten aus dem Meer.

Das Geheimnis der Unsterblichkeit

Es ist die Masse dieser Lebewesen, die abgesehen von ihrem Nutzwert als Nahrung durch ihre unglaublichen Leistungen das Leben auf unserem Planeten sicherstellen. Mit der Bindung von ca. 108 Gigatonnen CO2 steht das Phytoplankton der Photosytheseleistung der Landpflanzenmasse (ca. 123 Gigatonnen) kaum nach. Und tatsächlich spielen die winzigen Pflanzenpartikel des Meeres eine wichtige Rolle beim Klima. Das nämlich können sie sogar aktiv beeinflussen. Aber Plankton ist nicht nur auf der Mikroebene spannend. Schließlich gehören auch Quallen zu dem tierischen Treibgut. Und auch die bergen faszinierende Geheimnisse, unter anderem das der Unsterblichkeit. Tatsächlich haben Wissenschaftler eher zufällig entdeckt, dass die knapp drei Millimeter große Meduse Turritopsis dohrnii aufgrund ihres Reproduktionsverhaltens biologisch unsterblich ist. Und wer ist wohl für das schon in den frühneuzeitlichen Reiseberichten beschriebene Meeresleuchten verantwortlich? Natürlich Plankton.

Krankenstationen und Wellnessoasen für Fische

So unendlich weit, wie uns die Ozeane erscheinen, ist auch das Spektrum dessen, was es über die Geheimnisvolle Welt des blauen Wunders zu berichten gibt. Da gibt es das vielschichtige Leben der Korallenriffe und ihrer Bewohner mit ihren Symbiosen, Parasitismen und dem unerbittlichen Jagdgeschehen. Fische verändern bei Bedarf ihr Geschlecht, brüllen, babbeln, brummen, klicken oder fauchen sich an und lassen sich von Putzerfischen und Putzergarnelen ihre Wehwehchen behandeln oder unterziehen sich einer Wellnesskur. Vor den "Praxen" der maritimen Gesundheitsdienstleister gibt es regelrechte Warteschlangen. Aber auch die Korallen selbst erscheinen bei der Lektüre im buchstäblichen Sinne in einem neuen Licht. So beschreibt Frauke Bagusche unter anderem die Fähigkeit der Korallenorganismen Fluoreszenz zu erzeugen. Und wie bei allen von ihr dargestellten Aspekten geht sie auch hierbei thematisch in die Tiefe, beschreibt die physikalischen und biologischen Hintergründe und nicht zuletzt die Bedeutung und Zusammenhänge für das Klima und das Leben auf unserer Erde.

Das Detail und das große Ganze

Der Blick auf das faszinierende Einzelne und dessen Einordnung in das große Ganze ist eine der Stärken dieses Buches. Das trifft natürlich auch auf den Abschnitt Unendliches Blau zu. Da geht es um das Element Wasser und dessen einzigartige Eigenschaften, aus denen nicht nur die unterschiedlichen Salzgehalte der Meere, sondern auch der prägende Einfluss auf unser Klima hervorgeht. Und nicht zuletzt tauchen hier die Wesen auf, die wir mit dem Meer eigentlich verbinden: Wale, Delfine, allerlei Fische oder Schildkröten. Auch vor der Geheimnisvollen Tiefsee macht die Meeresbiologin nicht halt und präsentiert dem Leser Tiefseemonster, Biolumineszenz, Bodenschätze und Riffe aus Glas. Mit Sex and the Sea führt die Autorin den Leser in die wundersame Welt des meerestierischen Reproduktionsverhaltens. Dabei enthüllt sie auch die dunklen Seiten so manches unserer vermeintlichen Kuscheltiere der Meere. So schreibt die Autorin: "Seeotter mögen zwar zu den niedlichsten Tieren auf diesem Planeten gehören, aber unter ihrem seidigen Fell versteckt sich ein dunkler Charakter - zumindest unter dem Fell der männlichen Seeotter.

Weltuntergang

So weit zu den Aspekten Staunen und Respekt. Sorge macht sich beim Leser breit, wenn die Meeresbiologin kompetent und eindringlich darstellt, warum das Blaue Wunder in Gefahr ist. Die biologischen und physikalischen Regulationsmechanismen der nur scheinbar unendlichen Weiten sind im Rahmen der menschlichen Aktivitäten längst an ihre Grenzen gekommen, ja in vielen Bereichen bereits irreversibel überfordert. Da geht es um CO2 - Ausstoß, Verbrauch nachwachsender Rohstoffe, Nitratbelastung, Plastikmüll und all die Dinge, die eigentlich längst bekannt sind. Aber nach der Lektüre des Buches beginnt der Leser die Problematik auch zu begreifen. Denn der Autorin gelingt es und unterhaltsamer Weise eben nicht nur Anekdoten zu einzelnen Aspekten aneinanderzureihen, sondern dabei gleichzeitig komplexe Zusammenhänge zu vermitteln. Dabei überträgt sich die zwischen den Zeilen durchscheinende Begeisterung der Autorin für die wunderbare Meereswelt von Abschnitt zu Abschnitt auf den Leser. Die Erkenntnis der gravierenden Bedrohung dieser, unserer Lebensgrundlage, wirkt daher schon beinahe verstörend.
Ein sehr gelungenes Werk, bei dem der Leser wie das Plankton im Strom der.Worte einfach mitgerissen wird.

Frauke Bagusche: Das Blaue Wunder. Erstaunliche Einblicke in eine geheimnisvolle Welt. Ludwig Verlag 2019. Gebunden mit Schutzumschlag, 319 Seiten

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