Ein Buch über echte Weltbürger
Vögel sind ständig in Bewegung, und
das nicht nur bei der Futtersuche an ihren Standorten. Sie legen
tausende von Kilometern zurück, um in ihre Brutgebiete zu gelangen,
dem harten Bedingungen des Winters zu entfliehen oder gar um in der
Luft den größten Teil ihres Lebens zu verbringen. Bei dem Begriff
Vogelzug denken wir in unseren Breiten zunächst an die Kraniche, die
in spektakulären Flugformationen im Herbst in Richtung Süden
ziehen. Oder die Stare, die vor ihrem Abflug atemberaubende
Schwarmbilder in den Himmel malen. So richtig bewusst ist uns jedoch
kaum, dass die meisten Vogelarten ihren Standort je nach Jahreszeit,
Brut- und Futterbedingungen über mehr oder weniger große Distanzen
wechseln und sich damit die Frage nach der „heimischen“ Vogelwelt
bei näherer Betrachtung relativiert.
Mythen und Legenden um den Vogelzug
Schon in der Antike regte der Vogelzug
die Phantasie der Menschen an schon allein deshalb, weil über
Hintergründe und Charakter des jährlichen Verschwindens und
Wiederauftauchens der Gefiederten kaum etwas bekannt war. Und so
rankten sich bis in die frühe Neuzeit Mythen und Sagen um den
Verbleib der Vögel, wie beispielsweise dem der Schwalben, die sich
Plinius zufolge in die Tiefen der Berge zurückziehen und dort nackt
und ohne Federn aufzufinden seien. Für Aristoteles verwandelten sich
zum Winter Rotschwänzchen in Rotkehlchen und in England glaubte man,
dass sich die Wachtelkönige im Winter in Ratten verwandeln. Das ist
auch kein Wunder, denn eine globale Beobachtung von Tierwanderungen
war in den frühen Zeiten nicht möglich und bis in die frühe
Neuzeit galt das niedergeschrieben Wissen der antiken Dichter und
Denker als unumstößlich.
Mit dem Beringen fing alles an
Tatsächlich ist auch den meisten
Menschen heute die Komplexität des Vogelzugs nicht so richtig
bewusst. Da gibt es Schwarm-, Einzel-, Tag-, Nacht-, Kurz- und
Langstreckenzieher, flexible Zugrouten und eine Reihe von
geographischen, klimatischen und meteorologischen Rahmenbedingungen,
die die Details des Zugverhaltens bei den einzelnen Vogelarten
bestimmen. Erst seit dem 19. Jahrhundert konnten diese Details durch
Beobachtungen, mühsam Schritt für Schritt erforscht werden. Die
ersten Vogelwarten entstanden und die Umsetzung der Idee des
dänischen Lehrers Hans Christian Cornelius, Vögel zu fangen und zu
beringen führte schließlich zu ersten spannenden Erkenntnissen, die
geradezu einen Boom in der Zugvogelforschung auslöste. Seitdem hat
sich viel getan.
Zugvögel unter weltweiter
Beobachtung – das Icarusprojekt
Internationaler Datenaustausch über
digitale Medien, Besenderung von Vögeln und Satellitenverfolgung bis
hin zum Icarusprojekt kennzeichnen die Entwicklung der Erforschung
des Vogelzugs. Mit dem speziellen Computer und den Antennen, die 2018
auf der internationalen Raumstation ISS in Betrieb gingen, hat nun
ein neues Zeitalter der globalen Vogelzugbeobachtung nahezu in
Echtzeit begonnen. Aber bereits bisher hat die Vogelforschung eine
Fülle an Erkenntnissen ergeben, die - in diesem Buch dargestellt -
vom Leser erst einmal verarbeitet werden müssen. So mancher Leser
wird nach der Lektüre die gefiederten Freunde und ihre teilweise
unglaublichen Leistungen mit anderen Augen sehen. Das gilt übrigens
auch für die Gefahren, denen die eigentlich recht anpassungsfähigen
Vögel nicht nur auf ihren Wanderungen ausgesetzt sind.
100 Millionen Vögel jährlich in
Europa illegal vom Himmel geholt
Noch immer landen rund ums Mittelmeer
massenhaft Vögel illegal in Netzen, auf Leimruten oder in Schlingen
und auch in Europa werden unzählige Vögel im Rahmen von
Schießorgien und anderen menschlichen Jagdmethoden bei ihren Zügen
über das Land vom Himmel geholt. Jährlich fallen bis zu 100
Millionen Vögel europaweit illegalen Tötungen zum Opfer. Hinzu
kommt, dass Urbanisierung und Landwirtschaft immer mehr Rastgebiete
verschwinden lässt, der Klimawandel Brut- und Lebensbedingungen
verändert und technische Bauwerke (z.B. Windkraftanlagen oder
verglaste Fassaden) weiteren Tieren den Garaus machen.
Lichtverschmutzung und Plastikmüll ergänzen die Palette
menschengemachter Bedrohungen, die die Existenz ganzer Populationen
und Vogelarten bedrohen.
Informationen über den praktischen
Zugvogelschutz, Internationale Richtlinien, Schutzgebiete und
Möglichkeiten für Jedermann, sich am Vogelschutz und -beobachtung
zu beteiligen, runden das inhaltliche Spektrum des hochinformativen
und reichhaltig illustrierten Buches ab.
Klaus Richarz: Vogelzug. Wbg
Theiss, 2019. Gebunden mit Schutzumschlag, 192 Seiten.
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