Ein wilder
Ritt durch Island
Ferien in
Island, ein Unterfangen, das im Jahre 1886 recht ungewöhnlich für eine junge
Dame der Londoner High Society war. Island war in jeder Zeit eher ein Ziel für
Naturforscher oder Geschäftsleute. Für Ethel
Briliana Tweedie (geb. Harley) war die Fahrt ein Abenteuer, sozusagen
ein Kontrastprogramm zur anstrengenden Londoner Partysaison und den üblichen
Schickeria-Reisen in die Schweiz oder andere mondäne aber eher langweilige
Ziele. Das Schreiben und die Publikation ihres Reisetagebuches (1888) war
zunächst ein Mittel des Selbstausdrucks, ein Zeitvertreib.
Das Buch
wurde seinerzeit ein großer Erfolg. Das lag sicherlich nicht daran, dass
Literatur über Island Mangelware war. Es dürfte die Mischung aus kalkuliertem
Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln gewesen sein, ohne die Konventionen und
Verhaltensregeln ihrer Herkunft in Frage zu stellen. Insofern liefert sie in ihrem
Bericht weniger ausführliche Landschaftsbeschreibungen, sondern viel mehr die
Darstellung ihrer Art der Reise. Dabei hebt sie immer wieder den Unterschied
zwischen der zivilisierten Welt und dem rückständigen, noch im Mittelalter
verhafteten Island und seiner Bewohner hervor. Daraus und aus den für Damen-
und Herrschaften von Herkunft ungewohnten Reise- und Lebensbedingungen
generiert die Schriftstellerin den abenteuerlichen Charakter der Reise. So
stellt sie beispielsweise fest, dass die Zelte, die die männlichen Begleiter
zum Übernachten in der Wildnis aufstellen, so niedrig sind, dass sie sich nur
auf allen Vieren betreten lassen. Und während der Überfahrt von Schottland nach
Island in den Passagierkabinen eines Frachters führte der heftige Seegang dazu,
dass beim Dinner die Suppe in ihrem Schoß landete und ein Glas Champagner umkippte,
bevor sie es an die Lippen führen konnte.
Eine Reise an den Rand der europäischen Zivilisation
Keine Frage,
Ethel war eine verwöhnte, wohlbehütete junge Dame, die mit den berühmten
goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen war. Und ihre gesellschaftliche
Herkunft und Zugehörigkeit stellte sie auch nicht in Frage, als ihr luxuriöses
Leben abrupt endete. 1896 ging die Firma ihres Mannes pleite, ein halbes Jahr
später starben Ethels Mann, kurz darauf ihr Vater, so dass die nun Vierunddreißigjährige
mit ihren beiden Söhnen völlig mittellos dastand, aber eben nicht ohne beste
Beziehungen zu allem, was in der Gesellschaft Rang und Namen hatte. Man könnte
Ethel B. Tweedie nach der Lektüre ihres Reiseberichtes als eine von vielen
etwas aufsässigen, sozial überheblichen und vergnügungssüchtigen Damen
betrachten, die ihre Rolle in der High Society hervorragend ausfüllte. Nicht
zuletzt ihr Kommentar in Zusammenhang mit der Reaktion isländischer Auswanderer
bei der Ankunft im zivilisierten Schottland >>Wir kamen zu dem Schluss,
dass es eines zivilisierten Geistes bedarf, um die Zivilisation zu schätzen, so
wie es Talent bedarf, um Talent zu schätzen>> scheint dies zu bestätigen.
Ethel B. Tweedie, die privilegierte
Wortarbeiterin
Aber so
oberflächlich, wie es auf den ersten Blick scheint, war Tweedie offensichtlich nicht.
Statt sich zwecks sicherer Versorgung neu zu verheiraten, bestritt sie nun
ihren Lebensunterhalt mit unermüdlichem Schreiben. Außerordentlich erfolgreich,
denn sie war nicht nur in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und ihre
beiden Söhne zu bestreiten, sondern auch das Haus ihres Mannes zurückzukaufen
und sich dort mit ihren eleganten Abendveranstaltungen als Gastgeberin der High
Society zu profilieren. Eine Revolutionärin war sie sicher nicht, aber immerhin
hatte sie durch ihr eigenes Beispiel während der Islandreise das Reiten nach
Männerart für Frauen letztendlich salonfähig gemacht und sie war eine
engagierte Verfechterin des Frauenwahlrechts und der Gleichberechtigung der
Geschlechter.
Unterhaltsam und informativ
Ins Land der
Sagas und Geysire ist ein Buch, dass unter mehreren Aspekten gelesen werden
kann (und sollte) Es ist der unterhaltsame Bericht einer abenteuerlichen
Gesellschaftsreise zum Ende des 19. Jahrhunderts und insofern schlichtweg
klassische Literatur. Es liefert zudem in Zusammenhang mit der lebendig
geschriebenen kompakten Biographie Tweedies aus der Feder der Übersetzerin und
Autorin Ebba D. Drolshagen das (Selbst)Portrait einer selbstbewussten und
selbständigen, für ihre Zeit durchaus ungewöhnlichen Persönlichkeit und einen
aufschlussreichen historisch-gesellschaftlichen Hintergrund für die Bewertung
des Reiseberichtes, der mit dem Vorwort zur zweiten Auflage aus dem Jahr 1994 beginnt. Dieses, ebenso wie das letzte Kapitel über
die Vulkane, dokumentieren die vielseitigen Interessen aber auch den zugrundeliegenden
Bildungshunger der erfolgreichen Reiseschriftstellerin des 19./20.
Jahrhunderts.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen