Dienstag, 27. Juni 2017

Ethel B. Tweedie: Ins Land der Sagas und Geysire

Ein wilder Ritt durch Island

Ferien in Island, ein Unterfangen, das im Jahre 1886 recht ungewöhnlich für eine junge Dame der Londoner High Society war. Island war in jeder Zeit eher ein Ziel für Naturforscher oder Geschäftsleute. Für Ethel  Briliana Tweedie (geb. Harley) war die Fahrt ein Abenteuer, sozusagen ein Kontrastprogramm zur anstrengenden Londoner Partysaison und den üblichen Schickeria-Reisen in die Schweiz oder andere mondäne aber eher langweilige Ziele. Das Schreiben und die Publikation ihres Reisetagebuches (1888) war zunächst ein Mittel des Selbstausdrucks, ein Zeitvertreib.


Das Buch wurde seinerzeit ein großer Erfolg. Das lag sicherlich nicht daran, dass Literatur über Island Mangelware war. Es dürfte die Mischung aus kalkuliertem Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln gewesen sein, ohne die Konventionen und Verhaltensregeln ihrer Herkunft in Frage zu stellen. Insofern liefert sie in ihrem Bericht weniger ausführliche Landschaftsbeschreibungen, sondern viel mehr die Darstellung ihrer Art der Reise. Dabei hebt sie immer wieder den Unterschied zwischen der zivilisierten Welt und dem rückständigen, noch im Mittelalter verhafteten Island und seiner Bewohner hervor. Daraus und aus den für Damen- und Herrschaften von Herkunft ungewohnten Reise- und Lebensbedingungen generiert die Schriftstellerin den abenteuerlichen Charakter der Reise. So stellt sie beispielsweise fest, dass die Zelte, die die männlichen Begleiter zum Übernachten in der Wildnis aufstellen, so niedrig sind, dass sie sich nur auf allen Vieren betreten lassen. Und während der Überfahrt von Schottland nach Island in den Passagierkabinen eines Frachters führte der heftige Seegang dazu, dass beim Dinner die Suppe in ihrem Schoß landete und ein Glas Champagner umkippte, bevor sie es an die Lippen führen konnte.

Eine Reise an den Rand der europäischen Zivilisation

Keine Frage, Ethel war eine verwöhnte, wohlbehütete junge Dame, die mit den berühmten goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen war. Und ihre gesellschaftliche Herkunft und Zugehörigkeit stellte sie auch nicht in Frage, als ihr luxuriöses Leben abrupt endete. 1896 ging die Firma ihres Mannes pleite, ein halbes Jahr später starben Ethels Mann, kurz darauf ihr Vater, so dass die nun Vierunddreißigjährige mit ihren beiden Söhnen völlig mittellos dastand, aber eben nicht ohne beste Beziehungen zu allem, was in der Gesellschaft Rang und Namen hatte. Man könnte Ethel B. Tweedie nach der Lektüre ihres Reiseberichtes als eine von vielen etwas aufsässigen, sozial überheblichen und vergnügungssüchtigen Damen betrachten, die ihre Rolle in der High Society hervorragend ausfüllte. Nicht zuletzt ihr Kommentar in Zusammenhang mit der Reaktion isländischer Auswanderer bei der Ankunft im zivilisierten Schottland >>Wir kamen zu dem Schluss, dass es eines zivilisierten Geistes bedarf, um die Zivilisation zu schätzen, so wie es Talent bedarf, um Talent zu schätzen>> scheint dies zu bestätigen.

Ethel B. Tweedie, die privilegierte Wortarbeiterin

Aber so oberflächlich, wie es auf den ersten Blick scheint, war Tweedie offensichtlich nicht. Statt sich zwecks sicherer Versorgung neu zu verheiraten, bestritt sie nun ihren Lebensunterhalt mit unermüdlichem Schreiben. Außerordentlich erfolgreich, denn sie war nicht nur in der Lage, den Lebensunterhalt für sich und ihre beiden Söhne zu bestreiten, sondern auch das Haus ihres Mannes zurückzukaufen und sich dort mit ihren eleganten Abendveranstaltungen als Gastgeberin der High Society zu profilieren. Eine Revolutionärin war sie sicher nicht, aber immerhin hatte sie durch ihr eigenes Beispiel während der Islandreise das Reiten nach Männerart für Frauen letztendlich salonfähig gemacht und sie war eine engagierte Verfechterin des Frauenwahlrechts und der Gleichberechtigung der Geschlechter.

Unterhaltsam und informativ

Ins Land der Sagas und Geysire ist ein Buch, dass unter mehreren Aspekten gelesen werden kann (und sollte) Es ist der unterhaltsame Bericht einer abenteuerlichen Gesellschaftsreise zum Ende des 19. Jahrhunderts und insofern schlichtweg klassische Literatur. Es liefert zudem in Zusammenhang mit der lebendig geschriebenen kompakten Biographie Tweedies aus der Feder der Übersetzerin und Autorin Ebba D. Drolshagen das (Selbst)Portrait einer selbstbewussten und selbständigen, für ihre Zeit durchaus ungewöhnlichen Persönlichkeit und einen aufschlussreichen historisch-gesellschaftlichen Hintergrund für die Bewertung des Reiseberichtes, der mit dem Vorwort zur zweiten Auflage aus dem Jahr 1994 beginnt.  Dieses, ebenso wie das letzte Kapitel über die Vulkane, dokumentieren die vielseitigen Interessen aber auch den zugrundeliegenden Bildungshunger der erfolgreichen Reiseschriftstellerin des 19./20. Jahrhunderts.

Ethel B. Tweedie: Ins Land der Sagas und Geysire. ein wilder Ritt durch Island. Edition Erdmann 2017. gebunden 179 Seiten.

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