Die
faszinierende Welt der Fledertiere
Den einen
sind die unheimlich, die anderen finden sie süß. Es gibt sie in Schreiadlergröße
mit einer Spannweite von rund 1,70 Metern aber auch im Miniformat mit drei Zentimetern
Kopf-Rumpf-Länge und einem Gewicht von etwa zwei Gramm. Viele der insgesamt
rund 1300 heute bekannten Arten hängen in riesigen Kolonien in Höhlen oder auf
Dachböden ab, andere suchen sich Baumhöhlen oder Termitenhügel, falten sich Blätter zu einem Zelt zusammen
oder machen es sich im Becher einer fleischfressenden Pflanze gemütlich. Sie gehören
seit über 50 Millionen Jahren zu den erfolgreichsten Arten der Erde. In seinem
Buch Heimlich, still und leise
präsentiert der Fledermausforscher Prof. Dr. Gerald Kerth die ganze Bandbreite
des Fledergetiers und setzt den Leser dabei immer wieder in Erstaunen.
Zunächst
einmal befasst sich der Autor mit der Begriffsbestimmung, ein nur scheinbar trockenes
Thema, das aber gut geeignet ist, um in die vielfältigen Facetten des Themas
einzuführen. Denn der Leser erfährt nicht nur, dass die Säugetiere mit der
offiziellen Bezeichnung Chiroptera sogenannte Handflügler sind, ihre Flügel
also aus den Fingern gebildet werden. Trotz gewisser Unterschiede sind die
Flughunde und die „eigentlichen“ Fledermäuse eng miteinander verwandt, die namentliche
Unterscheidung außerordentlich missverständlich. Tatsächlich haben die
Fledermäuse mit den Nagern verwandtschaftlich genauso wenig zu tun, wie Flughunde
mit ihren vierbeinigen Namensvettern. Und so ergibt es Sinn, wenn man entweder
den wissenschaftlichen Namen oder aber den Begriff Fledertier verwendet, wenn –
wie in diesem Buch - die gesamte Säugetierordnung der Handflügler gemeint ist. Die
verwandtschaftlichen Verhältnisse der immerhin rund 1300 Fledertierarten sind ohnehin
verzwickt wie die enge Verwandtschaft zwischen der etwa 2 Gramm schweren
Schweinsnasenfledermaus und dem 1,5 Kilogramm schweren Indischen
Riesenflughund. Ohne molekulargenetische Analysen der Erbsubstanz ist man bei
der systematischen Klassifizierung der Fledertiere, der Taxonomie, recht hilflos.
Die akustische Welt der fliegenden Säugetiere
Man muss sicher kein ausgewiesener Spezialist sein, um zu wissen, dass sich die Fledermäuse mittels Echolot orientieren. Unbekannter ist vielleicht, dass Flughunde genau das nicht tun, sondern ihre gut entwickelten Augen benutzen. Es ist noch völlig unklar, ob Flughunde das Echoloten verlernt oder nie gekonnt haben. Gerald Kerth geht auf die für den Laien wohl markanteste Eigenschaft der Fledermäuse näher ein und eröffnet dem Leser damit ungeahnte Einsichten. Denn die akustische Welt der Fliegenden Säugetiere ist unglaublich kompliziert. Da gilt es, in Kolonien von hunderttausenden Signale aussendenden Individuen die Reflektion der Eigenen zu erkennen und zu berechnen. Und das im rasanten Flug, also bei ständiger Positionsänderung. Von der Art der Beute, der Umgebung und anderen Faktoren hängt nicht nur die Höhe der Frequenz der Ortungstöne ab. Und wer glaubt, die in für uns unhörbarem Bereich liegenden Töne seien immer gleich, der hat sich gründlich geirrt. Da gibt es konstant-frequente Rufe, frequenzmodulierte Rufe, kürzere und längere Töne in unterschiedlich schneller Wiederholung.
Vielfältiger Speiseplan flatternder Spezialisten
Was Fressen Fledertiere eigentlich? Von unseren einheimischen Arten ist bekannt, dass sie vor allem Insekten vertilgen, und zwar Unmengen. Dennoch hat sich die große ökologische Bedeutung der Handflügler noch nicht weit herumgesprochen. Dabei ist die Insektenvertilgung nur ein Aspekt ihrer Nützlichkeit. Weltweit gesehen gibt es Arten, die sich auf die Bestäubung von Pflanzen spezialisiert haben, die früchtefressenden Flughunde verbreiten Samen und tragen damit zur Reproduktion der Flora bei. Tatsächlich gibt es unter den 1300 Fledermausarten drei Vampirarten, die sich, wie beispielsweise die Vogelarten Vampirfink oder Madenhacker, vom Blut anderer Tiere ernähren. Ansonsten stehen auf dem Speiseplan einiger der unzähligen Fledertierarten unter anderem Fisch, Frösche, Skorpione, Heuschrecken, andere Fledermäuse, Reptilien, Vögel, Nektar und Früchte. Dabei zeigen die Chiroptera eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit, sowohl in ihrem Verhalten als auch in ihrer Ausstattung. So hat beispielsweise die Fransenlippenfledermaus in Mittel- und Südamerika rund ums Maul Falten, Hautfransen und warzenähnliche Erhebungen, die ihr hilft, die ungenießbaren Pfeilgiftfrosche ohne Schaden bereits beim ersten Kontakt zu erkennen. Aber eigentlich hat sich diese Fledermaus auf Männchen des Tungara Frosches spezialisiert. Den erkennt sie an seinen Paarungsrufen.
Zwischen Einzelgänger und Massengesellschaft
Akustische Signale dienen aber nicht nur der Ortung, sondern auch der sozialen Kommunikation. Unter anderem dazu, die eigenen Jungen nach erfolgreicher Nahrungssuche unter unzähligen anderen Fledertieren wiederzufinden. Ausgeklügelte Suchstrategien und soziale Verhaltensweisen machen Paarung und Aufzucht innerhalb solch gewaltiger Populationen wie sie in manchen Gegenden bekannt sind, überhaupt erst möglich. Kerth erzählt von ganz unterschiedlichen Gesellschaftsformen, die die immer wieder wechselnde innere Struktur der Kolonien ausmachen. So manches erinnert dabei an bekannte Strukturen aus der Tierwelt, wie beispielsweise „Harems“, „Matriarchate“ und zahlreiche Mischformen und Gruppenbildungen. Auch die Quartierwahl ist außerordentlich vielschichtig und je nach Situation und Jahreszeit variabel. Bei der Lektüre des Buches entsteht der Eindruck, dass Fledertiere unglaublich flexibel und anpassungsfähig sind. Im Rahmen dieser Besprechung können nicht einmal die spannendsten Aspekte dieser Spezies angerissen werden, wie beispielsweise die besondere Samenspeicherfähigkeiten des Weibchens.
Fledermäuse und der Mensch
Natürlich darf das Kapitel Fledermäuse und der Mensch nicht fehlen. Denn trotz der faszinierenden Überlebensstrategien sind einige Arten in der vom modernen Menschen geschaffenen Umwelt gefährdet. Und so schließt das Buch mit dem Thema Was kann ich für den Schutz einheimischer Fledermäuse tun?
Heimlich, still und leise ist durchaus
geeignet, beim Leser das Interesse für diese flatternde Spezies zu wecken. Das
hat nicht nur mit der geradezu unerschöpflichen Fülle und Vielfalt der Tricks
und Anpassungen der Erfolgsart zu tun. Ich denke da nur an die Fledermäuse mit
Saugnäpfen statt Krallen, die sich entschlossen haben, nicht kopfüber abzuhängen.
Ach ja, auch zum Abhängen muss Fledertier spezielle körperliche Eigenschaften
aufweisen, um dabei keinen Kreislaufkollaps oder Gehirnschlag zu erleiden. Dem
Autor gelingt es auch mit der lockeren Sprache, Anekdoten und eben soliden Informationen,
die einem auch bei heimischen Fledermausführungen nicht unbedingt nahegebracht
werden (können), zu überzeugen. Das Ergebnis: Fledertiere sind weder unheimlich
noch süß. Sie gehören zu einer der faszinierendsten Spezies, die die Evolution
hervorgebracht hat. Geheimnisvoll sind sie aber auch, denn trotz der Fülle an Erkenntnissen
und Informationen sind zahlreiche Fragen derzeit noch unbeantwortet.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen