Ein satirischer Abenteuerroman der Edition Büchergilde
Keine
Frage, der Tierforscher und Naturwissenschaftler Edmund Alfred Brehm
ist ein Genie. Das zeigt sich nicht nur daran, dass es ihm auf seiner
Reise zum von ihm zu entdeckenden geheimnisvollen Tierland so ganz
nebenbei gelingt, die Entstehung des Himmelblaus aus dem Meeresblau zu
erkennen. Sein Forschungsbericht strotzt geradezu vor Entdeckungen,
Erfindungen und Erkenntnissen, auf die die Menschheit nur gewartet hat,
die sie aber wohl bis heute nicht so recht zu würdigen weiß.
Man
denke da nur an die eigens für die Expedition konstruierten
Schwebeboote des Naturforschers, der nach dem Motto lebt: „ein Edmund
Alfred Brehm gibt niemals auf“. Und so schafft es Brehm nicht nur
zahllose so merkwürdige Tierarten wie den Gill, das Plabubble,
Denunziaffen, Fröhölleries, Kompenasoren oder Strandulen zu entdecken,
zu dokumentieren und gelegentlich auch im Rahmen seiner Forschungen
auszurotten. Immerhin setzt er sich auch gegenüber dem Piratenkapitän
Pamphile und seiner Mannschaft, die er für die Expedition gechartert
hatte durch.
Wie es sich für eine richtige Expedition gehört,
gerät der geniale Forscher ständig in Lebensgefahr, sei es, dass er die
Gefährlichkeit der unbekannten Tiere zunächst unterschätzt, sei es, dass
er sich mit dem fürchterlichsten aller tierischen Inselbewohner, dem
Kerska anlegt und dabei einem finalen Duell entgegensteuert, das die
ganze Tierlandinsel droht, in den Untergang zu reißen.
Verkehrte Welt in Vollendung
Nicht
nur die bislang unbekannte und von Brehm entdeckte und beschriebene
Tierwelt ist skurril, phantastisch und absurd. Die Menschen sind es
nicht weniger. So beispielsweise die schreckliche Hermine, ein
männliches Monster in Frauenkleidern, Großer Häuptling, ein
offensichtlich ständig zugekiffter Fährtenleser indianischer Abstammung
oder Long John Silberstiefel, der mit dem Survival-Kit in seinem
Holzbein. Und dann ist da neben Brehm noch die zweite Hauptperson:
Mathilde, die wilde Tierlandfrau, die sich für einen Ritter und Brehm
für ein zu umwerbendes Fräulein hält. Hier entspinnt sich auch noch eine
wunderliche Liebesbeziehung, die in vielen existenziellen Abenteuern
auf eine harte Probe gestellt wird. Bei der Lektüre von „Brehms
Tierland“ fühlt sich der Leser gelegentlich übrigens auch an Münchhausen
oder Käptn Blaubär erinnert.
Parodistisches Expeditionsbuch
Denn
phantastisch, skurril, absurd, abenteuerlich, das sind Attribute, die
durch jede Zeile dieses in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlichen Buches
hindurchschimmern. Und wer sich ein wenig mit der Geschichte der Natur-
und Tierforscher des 19. Jahrhunderts befasst hat, der findet hier
einige satirisch überspitzte Parallelen, die sich übrigens auch in
Brehms Anschreiben zur Akquisition von Forschungsgeldern bei „der
Akademie“ wiederfinden. Und nicht zufällig, so hat mir der Autor Kai
Splittergerber bei einer Lesung in Kassel verraten, unterscheidet sich
der Name des fiktiven Brehm von dem seines realen und berühmten
Namensvetters nur in der Reihenfolge der Vornamen. Aber das Buch besteht
nicht nur aus Text, es ist in seiner ganzen Aufmachung und Gestaltung
ebenfalls eine Parodie auf die Reise-und Forschungsberichte sich
gelegentlich selbst überschätzender „Wissenschaftler“ vergangener
Zeiten. Da sind zum einen die ironisch-frischen Illustrationen der
Grafikdesignerin Dorothea Huber, das bewusste Typografische
„Durcheinander“ bei den Erläuterungen innerhalb der Illustrationen und
der Wechsel zwischen den Printlettern des von Fußnoten, Grafiken und
Nebenbemerkungen durchbrochenen Fließtextes und zusätzlichen
handschriftlichen Notizen, die ergänzend in den Forschungsbericht
eingefügt wurden. Und am Ende findet der Leser noch eine Tierlandkarte,
auf der die wesentlichen Tiere und Orte, die bei der Expedition eine
Rolle spielten, verzeichnet sind.
Ein Buch in der Tradition der Moderne
Mit
seinem Text-Bild-Konzept, bei dem die Grafik nicht nur der rein
additiven Illustration des Textes dient, sondern eine untrennbare
künstlerische Verbindung mit diesem eingeht, greift das Buch aus der
Edition Büchergilde eine Tradition der Moderne, die sogenannte
„Arts-and-Crafts“-Bewegung auf, zu dessen interessantesten Werken das
1926 erschienene Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“, ein
autobiografischer Kriegsbericht von T.E. Lawrence (bekannt als Lawrence
von Arabien) gehören dürfte.
Für jeden, der dem satirisch,
phantastisch, absurden und künstlerisch ambitionierten Literaturgenre
zugeneigt ist, kann das Buch „Brehms Tierland“ nur empfohlen werden.
Ebenso empfehlenswert ist es übrigens, einer Lesung des Autors
beizuwohnen, die in der Regel mit der Ausstellung „Viva Terrarium“, der
einzigartigen Tiersammlung des Forschers, verknüpft ist. Denn nicht nur
das Buch ist ein Genuss, sondern auch die Erzählkunst des Autors, die
man sich nicht entgehen lassen sollte.
Kai Splittergerber, Dorothea Huber: Brehms Tierland. Aus dem Expeditionsbuch des Tierforschers E. Alfred Brehm. Edition Büchergilde 2011. Gebunden mit Schutzumschlag, 240 Seiten. ISBN 978-3-940111-82-1
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