Freitag, 12. Februar 2016

Ein Römerschiff Namens Victoria

Das Buch „Projekt Römerschiff“ von Rudolf Asskamp und Christoph Schäfer beschreibt ein archäologisches Experiment, das gezielt im Rahmen des Ausstellungsprojektes 2000 Jahre Varusschlacht durchgeführt wurde.

Das Römerschiff des Typs Oberstimm 1, genannt nach archäologischen Funden südlich von Ingolstadt, dessen Nachbau im April 2007 begonnen wurde, sollte von Anfang an zwei Aufgaben erfüllen. Einerseits war bereits der Bau selbst ein archäologisches Experiment, das durch die anschließende praktische Erprobung wichtige Aufschlüsse über Funktion und Leistungsfähigkeit dieses antiken Schiffstyps bringen sollte. Andererseits stand bereits im Vorfeld fest, dass das „Victoria“ getaufte Schiff ein zentrales Marketinginstrument für die Ausstellung „Imperium Konflikt Mythos 2000 Jahre Varusschlacht“ im Jahr 2009 werden sollte. 

Römerschiff wirbt für Ausstellungsprojekt 2000 Jahre Varusschlacht

Auf der Rundreise der im März 2008 fertiggestellten Victoria stand natürlich die Werbung im Vordergrund, ging es hier doch darum, auf das Ausstellungsprojekt hinzuweisen und das Jubiläumsjahr der Varusschlacht so zu vermarkten, dass ein möglichst breites Publikum für die Veranstaltungen des Jahres 2009 angesprochen wurde. Das Buch „Projekt Römerschiff“ allerdings beleuchtet vor allem die wissenschaftliche Seite des Experiments und lässt vor allem die Herzen der archäologisch Interessierten, der Schiffsmodellbauer, der Historiker und sogar der Elektronikfans höher schlagen.

Die Schiffsfunde von Oberstimm

Natürlich beginnt das Buch mit dem Ereignis, dem die Victoria ihre Existenz vor allem verdankt, dem Ausstellungsprojekt und der Beschreibung der Ausstellungsorte. Mit dem dann folgenden Kapitel „Die Schiffsfunde von Oberstimm“ gehen die Autoren dann aber so richtig in die Vollen. Hier wird über die Entdeckung und Ausgrabung der römischen Kriegsschiffswracks berichtet, die Vorbild für die Rekonstruktion der Victoria waren. Zahlreiche qualitativ hochwertige und vor allem ungewöhnlich aussagekräftige Fotos, Skizzen und topografische Grabungskarten sowie die ausführliche Besprechung von Einzelteilen, bis hin zur Diskussion des Baukonzeptes stellen bereits eine eigene hochinteressante wissenschaftliche Dokumentation dar.

Rekonstruktion des Römerschiffes

Die Beschreibung und Auswertung der Oberstimm- Funde dient aber nur der Vorbereitung des eigentlichen Experiments. Die Dokumentation des Nachbaus vermittelt dem Leser welche konstruktiven Probleme, Fragestellungen und Erkenntnisse eine archäologische Rekonstruktion nach sich zieht, obwohl die Funde, auf denen der Nachbau beruht, ungewöhnlich vollständig und gut erhalten waren. Liest man die ebenfalls reich und anschaulich illustrierte Dokumentation des Bauprozesses und der anschließenden Erprobungen, so wird deutlich, dass weder die experimentelle Archäologie, noch archäologische Rekonstruktionen ihr teilweise immer noch vorhandenes Image als historische Spielerei verdient haben.

Das Römerschiff und die Geschichte

Erstaunlich ist sicherlich auch, welche historischen Erkenntnisse über Einsatzfelder und Aufgaben dieses Schiffstyps sich aus der Rekonstruktion ableiten lassen. Die Diskussion dieser Aspekte der das Kapitel „Die Einsatzfelder der Oberstimm-Schiffe“ gewidmet ist und in die die Funde der Marinestützpunkte am Limes sowie die historischen Ereignisse des ersten nachchristlichen Jahrhunderts mit einbezogen sind, birgt so manche Überraschung. Bei der Erprobung des Schiffes, die in Form eines Modells auch in der Schiffbau-Versuchsanstalt Potsdam stattfand, war nicht nur Muskelkraft, sondern auch jede Menge Elektronik eingesetzt worden. Die Dokumentation der verschiedenen Messungen, die Aufschluss über Geschwindigkeit, Manövrierfähigkeit, Beschleunigung, Wasserwiderstand und vieles andere mehr gaben, ist nicht nur in Wort, sondern auch in Form von Grafiken oder Polardiagrammen (was das ist, wird glücklicherweise auch erklärt) dargestellt. Mathematische Formeln, die Beschreibung der Messgeräte und der Messprinzipien oder das Prozedere bei der Logkalibrierung sind für Techniker und Ingenieure sicherlich interessant und gehören eben auch zu einer wissenschaftlichen Dokumentation. Man muss das nicht verstehen, um die Ergebnisse einordnen zu können. Aber allein zu sehen, welcher technologische und elektronische Aufwand in der modernen, auch experimentellen Archäologie zum Einsatz kommt, ist schon beeindruckend.

Projekt Römerschiff, eine wissenschaftliche Dokumentation

Das Buch „Projekt Römerschiff“ ist glücklicherweise kein übermäßig populärwissenschaftlich gehaltenes Erzählwerk. Es kommt insgesamt einer wissenschaftlichen Dokumentation wesentlich näher, allerdings in durchaus verständlicher Sprache. Und wer sich für die Römer oder auch nur die Römerzeit in Germanien interessiert, für den ist dieses Buch wirklich zu empfehlen.

Rudolf Asskamp, Christoph Schäfer: Projekt Römerschiff, Nachbau und Erprobung für die Ausstellung 2000 Jahre Varusschlacht. Koehlers Verlagsgesellschaft 2008. geb. mit Schutzumschlag, 152 Seiten.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen