Sonntag, 14. Februar 2016

Die rätselhaften Vorfahren der Inka

ein Buch zur Vorgeschichte des Andenreiches

9783806223293-bDass die älteste Pyramide der Welt nicht in Ägypten, sondern in Peru steht, ist ein publikumswirksamer Aufhänger, der dem Klappentextleser das eigentlich Spektakuläre des Buchinhalts nur sehr bedingt offenbart. In „Die rätselhaften Vorfahren der Inka“ geht es um die Neubewertung archäologischer Funde und um die Entdeckung der mehr als 5000 jährigen durchgängigen Kulturgeschichte Perus.

Dabei sind es nicht nur die Laien, denen hier erstmals eine zusammenhängend dargestellte südamerikanische Kulturgeschichte präsentiert wird, deren Existenz angesichts der allgemeinen populären Fokussierung auf die Inka bislang kaum wahrgenommen wurde. Auch die Archäologen haben da – wie der Wissenschaftsjournalist Michael Zick anschaulich vermittelt – oft ihre von persönlichen Interessen geprägten Erkenntnisgrenzen.

Mit Siebenmeilenstiefeln in die peruanische Vergangenheit

Bereits im Vorwort und bei Betrachtung des dazugehörigen Zeit- und Lageplanes archäologischer Fundstätten und der daraus abzuleitenden Kulturregionen wird eines klar: das Buch kann mit seinen 160 großformatigen Seiten keinen vollständigen Überblick über die Archäologie der 5000 Jahre peruanische Kulturgeschichte von den Anfängen bis zu den Inka geben.
Und so konzentriert sich Zick auf den Besuch der für das Thema wichtigsten archäologischen Ausgrabungsstätten der letzten 20 Jahre. Denn in dieser Zeit sind internationale und – wie Zick aus gutem Grund betont – zunehmend peruanische Archäologen „mit Siebenmeilenstiefeln in die tiefere Vergangenheit Perus gestürmt“.

Peruanische Hochkulturen und ihre Ausgräber

Zick ist nicht nur Wissenschaftsjournalist, sondern auch Leiter von Kulturreisen. Da liegt es nahe, dass er den Leser in journalistisch lockerer Sprache mental zu den oft noch recht unbekannten archäologischen Ausgrabungsstätten mitnimmt und dabei auch gleich die Ausgräber persönlich vorstellt. Zick kennt sie, hat mit ihnen gesprochen und weiß, was sie antreibt. Er weiß auch um ihre Stärken und Schwächen und wie sich diese auf die Interpretation ihrer jeweiligen archäologischen Entdeckungen auswirken. So wird der Leser nicht nur durch die peruanische Kulturgeschichte geführt, sondern er gewinnt gleichzeitig interessante Einblicke in den aktuellen Wissenschaftsbetrieb. Dabei gelingt es Zick immer wieder, den Leser aus den Sphären gewagter Spekulationen auf den Boden der Realitäten zurückzuholen.

Die ideologische Public Relation der Inka

Die ausgegrabenen Realitäten und kulturellen Hinterlassenschaften sind ohnehin phantastisch genug. So hat es Zick überhaupt nicht nötig, beispielsweise zur Erklärung der berühmten Nazca-Linen irgendwelche Außerirdischen zu bemühen. Stattdessen eine spannende Präsentation der neuesten Erkenntnisse und vor allem die Erweckung der zwar immer noch geheimnisvollen aber durchaus auch irdisch greifbaren Kultur, die hinter den Geoglyphen steckt.
Bevor Zick jedoch in die Tiefen der peruanischen Vergangenheit eintaucht, widmet er sich dem Endpunkt der komplexen kulturgeschichtlichen Entwicklung – den Inka. Gerade einmal 98 Jahre währte das Reich, das wir heute als die Hochkultur Perus ansehen. 98 Jahre, in denen es den Inka ganz offensichtlich gelungen war die Nachwelt von ihrer Einzigartigkeit zu überzeugen und die imposanten kulturellen Leistungen ihrer Vorfahren, ja das Wissen um die Existenz der Vorgängerkulturen, in Mythologie und historischer Überlieferung auszulöschen. Kein Wunder, dass die nur scheinbar aus dem Nichts entstandene Hochkultur der Inka hinsichtlich ihres Ursprungs zu sehr abenteuerlichen Spekulationen verführte.

Von Sechín Bajo und Caral zu Cuzco

Archäologische Zweifel an der Einzigartigkeit des Inkareiches und seiner Entstehung aus dem kulturellen Nichts gab es natürlich schon lange. So ließen sich in den vergangenen Jahrzehnten zivilisatorische Relikte zahlreicher anderer Kulturkreise identifizieren und deren Anfänge immer weiter in die Vergangenheit zurückverlegen. Als Beispiele seien hier nur die Chavin-, die Nazca- und Moche-, die Huari- oder die Chimú- Kulturen genannt, die immerhin den Zeitraum zwischen etwa 1800 vor unserer Zeitrechnung bis 1438 nach Christus abdecken. Mit der jüngsten Entdeckung der bislang ersten Monumentalarchitektur Perus, der Pyramidenstätte Caral und dem noch älteren Tempelkomplex Sechín Bajo, lässt sich der Anfang südamerikanischer Hochkultur bereits in das 5. vorchristliche Jahrtausend zurückverfolgen, ein Ende des zeitlichen Tiefenrausches ist noch nicht abzusehen.

Die rätselhaften Vorfahren der Inka

Ohne Zweifel betrachtet man nach der Lektüre dieses umfangreich illustrierten Buches sowohl die Inka als auch die peruanische Kulturgeschichte und nicht zuletzt die Substanz gängiger wissenschaftlich-kulturgeschichtlicher Theorien mit anderen Augen. Natürlich werden auch hier mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Das liegt in der Natur der Archäologie. Aber während sich die Literatur über die Kulturgeschichte des südamerikanischen Kontinents üblicherweise auf die jeweils recht isolierte Beschreibung und Deutung einzelner Kulturkreise beschränkt, zeigt Zick in seinem Buch erstmals Zusammenhänge und plausible Entwicklungslinien über Zeit und Raum auf. Und dankenswerter Weise macht der Autor auch deutlich, dass trotz überaus reichhaltiger und vor allem verwirrender Bildsprache angesichts fehlender schriftlicher Quellen nur sehr wenig seriöse Aussagen über gesellschaftliche Strukturen, Einflussbereich, Herrschaftsformen oder Glaubensvorstellungen der rätselhaften Vorfahren der Inka getroffen werden können.

Michael Zick: Die rätselhaften Vorfahren der Inka. Theiss 2011. Gebunden mit Schutzumschlag, 160 Seiten.

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