Sonntag, 14. Februar 2016

Alfred Russel Wallace: Der Malaiische Archipel

Eine Reise durch die Heimat von Orang Utan und Paradiesvogel

Titel MalaiiAlfred Russel Wallace gehört zweifelsohne in die Reihe der großen Naturforscher, auch wenn sein Bekanntheitsgrad zumindest bei uns hinter dem eines Charles Darwin oder Alexander von Humboldt zurücksteht. Immerhin hat der britische Forschungsreisende wie Darwin eine ausführliche Theorie zur Evolution der Arten ausgearbeitet und diese ebenso wie die Beschreibung der biogeographischen Grenze zwischen australischer und asiatischer Fauna (die heutige Wallace-Linie) in seinem Reisebericht Der Malaiische Archipel; Die Heimat von Orang-Utan und Paradiesvogel vorgestellt.

Die Struktur des Buches macht es dem Leser leicht, den Gedankengängen und Theorien, die der Autor an den verschiedenen Aufenthaltsorten seiner Reise entwickelt, zu folgen. Denn nach seiner Vorrede, in der er Ziel und Ergebnis seiner indonesischen Forschungen zusammenfasst, folgt die Beschreibung der geographischen Strukturen und der aus den Beobachtungen abgeleiteten Entstehungsgeschichte der malaiischen Inselwelt. Die hat er zwar kreuz und quer durchreist, in den folgenden Kapiteln jedoch beschreibt er jede einzelne Insel beziehungsweise Inselgruppe unabhängig von der Reisechronologie unter verschiedenen Aspekten wie Fauna und Flora, Bewohner und Naturgeschichte. Dabei vermittelt er interessante Einblicke in eine Welt, die in erstaunlich weiten Teilen bereits vor gut 150 Jahren nicht mehr unseren Vorstellungen eines unberührten tropischen Regenwaldes als Heimat von heute bedrohten Arten entsprach.

Naturforschung nach Jägerart

Bei seinem Besuch auf Borneo hatte sich Wallace die Erforschung des Orang Utan in “seinem Vaterland“ zur Aufgabe gemacht. Folgt man allerdings seinen Beschreibungen, so lag der Schwerpunkt auf der Jagd nach dem indonesischen Waldmenschen. Immerhin bestand der Hauptzweck aller Reisen (und sicherlich auch der seiner naturforschenden Kollegen jener Zeit) darin, „naturgeschichtliche Gegenstände sowohl für meine Privatsammlung zu erhalten, als auch Museen und Liebhaber mit Duplikaten zu versorgen.“ Und das hieß, dass Wallace in den acht Jahren seiner Indonesien-Expedition neben rund 110.000 Schmetterlingen, Käfern und anderen Insekten, 8.050 Vögel, 100 Reptilien und nicht zuletzt 300 Exemplare von Säugetieren (darunter etwa 20 Orang Utans) eingesammelt, geschossen, präpariert und nach Hause geschickt hatte. Natürlich umfasst diese Auflistung nur die Exemplare, die heil und in gutem Zustand dort angekommen waren. Immerhin rund 1000 damals noch unbekannte Arten hatte Wallace auf diese Weise entdeckt und beschrieben. Neben den Orang Utans und den Insekten hatte er sich das Thema Paradiesvögel als besonderes Forschungsobjekt gewählt und ihnen in seinem Reisebericht ein eigenes Kapitel gewidmet.

Die aufgeklärte Geisteswelt des 19. Jahrhunderts

Der Leser merkt dem Autor den Zwiespalt an, mit dem er die Folgen der zivilisatorischen Eingriffe in die Natur betrachtet. Einerseits muss er weite Wege durch endlose Inselplantagen zurücklegen, um an sein Ziel, die Flora und Fauna des tropischen Regenwaldes zu gelangen. Und er erkennt bereits damals die Bedrohung, die die menschlichen Eingriffe in die Natur für die Vielfalt der Flora und Fauna bedeutet. Andererseits bewundert er das holländische System der „menschenwürdigen“ Verwaltung eingeborener Arbeitskraft und die Bedeutung der Lohnarbeit für die sittliche und moralische Entwicklung der Eingeborenen und stellt dieser das sozial schädliche Manufaktur- und Handelssystem der Engländer gegenüber. Die Bewertung der moralischen und sonstigen Qualität der verschiedenen „Rassen“ ist, mit heutigen Maßstäben gemessen, teilweise nur schwer zu ertragen. Allerdings befinden wir uns bei der Lektüre eben in der Geisteswelt der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und bei genauerer Betrachtung seiner Ausführungen wird deutlich, dass Wallace durchaus zu den fortschrittlichen und sozialkritischen Kräften seiner Zeit gehört.

Ein Reisebericht als Zeitkapsel

Wallaces Der Malaiische Archipel liefert dem Leser ein recht umfangreiches Bild einer Zeit, in der der technische Fortschritt Europas und der globale Handel beginnen, direkt oder indirekt die letzten Winkel der Erde zu verändern. So trifft der Leser auf Persönlichkeiten der Zeitgeschichte wie den Gründer der Stadt Singapur, Thomas Stamford Raffles und James Brooke, den ersten weißen Rajah von Sarawak auf Borneo. Wallace reist mit Dampfpostschiff und Eingeborenenprau durch die malaiische Inselwelt oder schickt sein Manuskript über seine Erkenntnisse zur Evolution von der Molukkeninsel Ternate zwecks Diskussion seiner Überlegungen ans andere Ende der Welt zu Charles Darwin nach England. Wallace formuliert diesen Widerspruch in seinem Kapitel über seinen Aufenthalt auf der Insel Buru folgendermaßen: „Diese Leute waren in der Tat so vollständig unbekannt mit zivilisiertem Leben, wie es die Indianer des Felsengebirges und die Wilden von Zentralafrika sind – und doch kommt ein Dampfschiff, jener höchste Triumph menschlicher Erfindungsgabe, mit seinem kleinen schwimmenden Auszug europäischer Zivilisation jeden Monat nach Kajeli, zwanzig Meilen von dort, und auf Ambon ist eine europäische Bevölkerung und Regierung seit mehr als dreihundert Jahren etabliert.

Die Menschenrassen im Malaiischen Archipel

Im letzten Kapitel befasst sich der Forscher unter der Überschrift „Die Menschenrassen im Malaiischen Archipel“ mit der sozialen Organisation, Lebensweise und Sprache der einheimischen „wilden“ und „zivilisierten“ Völkerschaften. Auch hier finden sich bemerkenswerte sozialkritische Gedanken auch zur Frage der zivilisatorischen Überlegenheit „unserer Zivilisation“ über „die besseren Klassen der Wilden“. So stellt Wallace fest: „Und wenn wir fortfahren, unsere Hauptenergie der Nutzbarmachung unserer Kenntnis der Naturgesetze zu widmen, mit der Aussicht, unseren Handel und unseren Reichtum noch weiter auszudehnen, so werden die Übel, welche ein solches Tun, wenn es zu eifrig betrieben wird, notwendig begleiten, zu so riesigen Dimensionen anwachsen, dass sie stärker sind, als unsere Kraft, sie zu heben.“

Reise in eine unbekannte Welt

Die Geschichte und Struktur Indonesiens sind uns hierzulande noch heute weitgehend unbekannt. Uns erreichen vor allem Nachrichten von Naturkatastrophen, Vernichtung des Regenwaldes, Artensterben und Konflikten. Über die Menschen, die Naturgeschichte oder die historischen Hintergründe der heutigen Probleme wissen wir kaum etwas. Dabei gehört Indonesien, wie der Reisebericht zeigt, zu den vielfältigsten und interessantesten Regionen dieser Welt und Alfred Russel Wallace zu einem der interessantesten europäischen Forschungsreisenden, der sie beschrieben hat.

Alfred Russel Wallace: Der Malaiische Archipel. Die Heimat von Orang-Utan und Paradiesvogel. Edition Erdmann 2015. Gebunden mit Schutzumschlag, 767 Seiten.

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