Donnerstag, 19. März 2015

ABC der Verlagssprache



Autorengespräch zwischen Wolfgang Schwerdt und Ruprecht Frieling

Mit dem »ABC der Verlagssprache« hat Ruprecht Frieling seinen neuesten Streich auf der Bühne des Buchmarktes vollführt. Ein Buch in der Tradition seiner Ratgeberserie »Frielings Bücher für Autoren« und doch etwas völlig anderes. Immerhin rund 3.500 Begriffe aus der Literatur-, Bücher-, und Kommunikationswelt hat Frieling zusammengetragen und erklärt. Da finden sich Antworten auf die Fragen »Was unterscheidet Self-Publisher von Hybrid-Autoren?«, »Was leisten Lektoren, was Korrektoren?«, »Was bedeuten Cliffhanger, Twist und auktorialer Erzähler?«, »Welche Begriffe verschlüsseln »DTP», »BoD«, »DKZV«, »KDP«, »GNU« und »VLB«?«, »Was verstehen Profis unter Blurb-Text, Clue Writing, Selfies, Drabbles und Infodump?«

Nicht nur für Nachwuchsautoren sind diese Informationen im täglichen Geschäft Gold wert. Was der Schriftsteller allerdings mit aus der kommunikationstechnologischen Steinzeit stammenden Begriffen wie beispielsweise »Akustikkoppler« anfangen soll, wenn er beispielsweise mit seinem Verlag über Dateiformatfragen diskutiert, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Bei genauerer Betrachtung finden sich in Frielings »ABC« allerdings neben der Darstellung von 40 Jahren technologischem und wirtschaftlichem Strukturwandel im Verlagswesen auch grammatikalische und literarische Begriffserläuterungen sowie andere Informationen, mit denen man in einem ABC des Verlagswesens nicht zwingend rechnet. Marktmenschen würden wahrscheinlich sagen: »Das Produkt ist erklärungsbedürftig«.
Tatsächlich steckt in dem Nachschlagewerk viel mehr als nur eine statische Auflistung von Begriffserklärungen. Was genau, darüber unterhalten sich Wolfgang Schwerdt und Wilhelm Ruprecht Frieling in einem Gespräch unter Kollegen.

Wolfgang Schwerdt
WS: Wer das gerade erschienene »ABC der Verlagssprache« als Taschenbuch oder als E-Book aufschlägt, der wird auf dem ersten Blick mit dem verborgenen Charme eines Telefonbuchs konfrontiert - eine unendlich erscheinende alphabethische Liste scheinbar willkürlich ausgewählter Begriffserklärungen. Wen willst du damit vom Hocker reißen?

Ruprecht FRieling
WRF: Der Charme eines Wörterbuchs liegt für mich darin, den gesamten Kosmos eines Wissensgebietes in komprimierter Form auf die Begrifflichkeit eingedampft zu sehen. Ich sammele seit Jahrzehnen Nachschlagewerke und nutze sie in meiner täglichen Arbeit als Autor viel stärker als beispielsweise Google, denn ich komme gezielter zu den Punkten, die mich tatsächlich interessieren und weiterbringen. Für das vorliegende Buch habe ich in meinen mehr als vierzig Berufsjahren immer wieder auftauchende Begriffe gesammelt, die mir in der Welt der Büchermacher begegnet sind. Vor gefühlten 300 Jahren veröffentlichte ich bereits ein »Wörterbuch der Verlagssprache«, das vor allem jene Begriffe definierte, die in den Gesellenprüfungen der Verlagskaufleute, Drucker, Setzer und Reprofotografen abgefragt wurden. Damals gab es noch kein Internet, durch mein Nachschlagewerk ließ sich die Prüfung sehr viel leichter bestehen. Dann erfolgte die Umwälzung der gesamten Branche durch die Digitalisierung, es tauchten zahlreiche neue Begriffe auf, die ich aufgriff und in das vollständig überarbeitete »ABC der Verlagssprache« einfließen ließ.

WS: Steigen wir einmal direkt in das Werk ein. Buchstabe A, erste Seite. Da finde ich Begriffe wie Adlerpult, Adligat, Adverb, Absatzausschließung, AfA, Account, Aluminiumdruckplatte, Anathem oder Adblocker. Einige davon habe ich noch nie gehört, andere sollten selbst Hobbyautoren geläufig sein, wieder andere sind alles andere als verlags- buch- oder auch nur literaturspezifisch. Ich persönlich finde das schlichtweg spannend, Erinnerungen werden wach, Wissenslücken deutlich und es offenbart sich die Tatsache, dass sich das Literaturschaffen nicht in einem gesellschaftlich und technologisch isolierten Raum abspielt.  Aber welchen Nutzen weist Du selbst Deinem Werk für Deine Leser zu? 
 
Kindle Seite des ABCs
WRF: Die Auswahl der Begriffe ist – wie gesagt – subjektiv. Es sind Begriffe, die mir in meiner beruflichen Laufbahn wiederholt begegneten und insofern haben sie allesamt etwas mit den Tätigkeitsfeldern von Autor und Verleger zu tun. Viele Begriffe der Literaturwissenschaft sind wichtig, um Missverständnisse im Dialog mit Lektoren, Korrektoren und Gestaltern zu vermeiden. Gleichzeitig spiegelt ein derartiges Wörterbuch auch die Technikgeschichte wider und sammelt Begriffe, die gestern modern und heute schon wieder vergessen sind. Matthias Matting, der in der Selfpublisher-Bibel urteilt, »Das ABC sollte in keiner Autoren-Bibliothek fehlen«, freut sich beispielsweise in seiner Buchbesprechung über den Begriff »Akkustikkoppler«, der sogar schon vor seiner eigenen Online-Zeit lag (er nutzte ein Modem). Der konkrete Nutzen für den Anwender liegt darin, dass er sich zweifelsfrei mit Dienstleistern, Anbietern, Kollegen und Lesern verständigen kann.

WS: Unter »W« findet sich gleich zu Anfang das Wort »Wachsmatritze«. Ich erinnere mich, ebenfalls etwas zum nach Spiritus duftenden Umdruckverfahren gelesen zu haben, das sich in vorelektronischen Zeiten vor allem in Lehrerzimmern und konspirativen Wohnungen salonrevolutionärer Gruppen etabliert hatte. Ich selbst habe damals als Juso mehrere Jahre lang eine Monatszeitschrift mit Wachsmatritzentechnik herausgebracht, eine mit heutigen Möglichkeiten verglichen abenteuerliche Produktionstechnik. Welches Anekdötchen kann denn Frieling zu diesem Thema beitragen. Findest du nicht auch, dass so etwas in dem ABC einen guten Platz hätte?

Blatt aus dem »Filterdienst«
WRF: Das ist eine interessante Anregung, ein Wörterbuch mit persönlichen Anekdoten anzureichern. Tatsächlich bin ich solch ein uralter Sack, dass ich sogar noch mit Wachsmatrizen gearbeitet habe. Und du erinnerst mich an eine Geschichte, die ich längst wieder vergessen hatte: Als Schüler brachte ich den »Filterdienst« heraus, mit dem ich die Wahrheit über die Notstandsgesetze veröffentlichen wollte, gegen die sich 1967/68 ein erbitterter Widerstand der damaligen Außerparlamentarischen Opposition (APO) ausbreitete. Ich kratzte mein Taschengeld zusammen und kaufte – ich glaube für 90 DM – ein gebrauchtes Abzugsgerät bei einem lokalen Bürobedarfshändler. Auf Din-A-4-Wachsmatrizen wurden dann mit einer Schreibmaschine die Texte getippt, auf keinen Fall durfte man sich dabei vertippen, denn es gab keine Korrekturmöglichkeit. Die beschriebene Matrize wurde in die Maschine eingehängt und mit einer alkohollöslichen Druckfarbe per Handkurbel auf saugfähiges Papier gedruckt. Im besten Fall konnten so pro Vorlage 3.000 Abzüge hergestellt werden. Geeignet war das Verfahren für Flugblätter, die schnell und tagesaktuell produziert werden mussten. Die Wachsmatrize galt seinerzeit als hochsubversive Technologie, die zur Verbreitung von Informationen und Aufrufen (beispielsweise zu Demos gegen den Vietnam-Krieg der Amis) eingesetzt wurde. Mein »Filterdienst« jedenfalls fand sogar Abonnenten in der Lehrerschaft unseres Gymnasiums, und so finanzierte ich die Maschine samt der Matrizen aus den Abo-Beiträgen (fünf Mark für ein Jahr).

WS: Von uraltem Sack zu uraltem Sack: Es gab eine Korrekturmöglichkeit. Wenn Du den Tippfehler gleich entdeckt hattest, konntest Du eine rosafarbene Flüssigwachsschicht (ähnlich dem unsäglichen Tipp-Ex, das ich Dir hiermit zur Ergänzung des ABCs anheimstelle) auftragen, warten, bis sie getrocknet war und dann den korrekten Buchstaben einschlagen.

WRF:  Wir hätten uns ein halbes Jahrhundert früher kennenlernen sollen …

WS: Aber nun mal in die Gegenwart. Mit »Indie« oder »Selfie« hast Du Begriffe aufgenommen, die als feste Definitionen noch gar nicht richtig in der Allgemeinheit verankert sind. Genau deshalb scheint es hier das Bestreben zu geben, solche Begriffe von der einen oder anderen Partei im Kampf um Marktanteile und Definitionsmacht zwischen Verlagen, Handel und Autoren mit eigenen Bedeutungen zu belegen. Im »ABC« fehlen diese Hinweise. Warum?

WRF:  Den Kampf um die Deutungshoheit der Begriffe kennzeichnet die gesamte Technik- und Kulturgeschichte. Unternehmen sind bestrebt, ihre Marke zum Appellativum – schon wieder ein Begriff aus dem »ABC« –, also zum verallgemeinernden Namen, der sowohl eine Gattung als auch Exemplare derselben kennzeichnet und charakterisiert, zu machen. Im Wörterbuch nenne ich als Beispiel »Tempo« für Papiertaschentücher und  »Viagra« für Potenzmittel. Amazon strebt an, »Kindle« als Gattungsnamen für E-Book-Reader durchzusetzen. Das ist ihnen zumindest bei mir fast gelungen, den »Tolino« habe ich nämlich in meinem »ABC« vergessen. Wird dann in der nächsten Aktualisierung, die für alle E-Book-Käufer gratis erfolgt, nachgeliefert.
WS: Es versteht sich von selbst, dass nicht nur angesichts der rasanten Entwicklung das »ABC« nie abgeschlossen sein kann. Du selbst rufst ja deine Leser auf, Vorschläge für weitere Begriffe aber auch Korrekturen zu machen. Zumindest das E-Book dürfte damit ein permanentes und im gewissen Sinne auch interaktives Projekt sein. Ich denke, das ist es, was neben deinen 40 Jahren Erfahrung – die meines Erachtens durchaus noch etwas deutlicher eingearbeitet werden könnten  - die eigentliche Faszination des Werkes über die imposante Begriffssammlung hinaus eigentlich ausmacht. Wie dynamisch hast Du den Prozess denn angelegt?

WRF: Die zweite Auflage folgt sicherlich sehr schnell, denn bereits in den ersten Tagen habe ich mehr als einhundert Hinweise bekommen, die ich prüfe und verwerte. Ein tolle Sache: Früher hätte das bedeutet, die erste Auflage des Buches verkaufen zu müssen, bevor dann vielleicht ein, zwei Jahre später die nächste erscheint. Heute ist das alles eine Angelegenheit von wenigen Klicks, und dank CreateSpace und der Printing-on-demand-Technik lässt sich inzwischen auch ein Paperback von heute auf morgen aktualisieren.


Seite Aus der Rotbartsaga mit in eine
Illustration eingebundenem QR-Code

WS: Nun, beim Paperback muss eine aktualisierte Version aber jeweils nachgekauft werden. Die Aktualisierungen hingegen werden, wie Du gesagt hast, für alle E-Book-Käufer gratis nachgeliefert. Gerade für inhaltlich sehr dynamische Literaturprojekte ist die E-Book-Technologie also ideal. Du hast das »ABC« aber auch als klassisches und damit inhaltlich statisches Taschenbuch herausgegeben. Könntest Du Dir vorstellen, auch hier aus obengenannten Gründen neue Wege zu beschreiten, wie ich es beispielsweise mit meinem Buchprojekt »Rotbartsaga« versuche. Wegen des aufwändigen Layouts ist für die Rotbartsaga das E-Book sicherlich nicht die Publikationsform erster Wahl (obwohl es auch ein Kindle dazu gibt). Daher beziehe ich über QR-Codes historische Hintergrundinformationen in Form von Internetvideos, Online-Artikel, Hörgeschichten in mein Holzbuch mit ein, die bei Bedarf jeweils elektronisch aktualisiert werden können. Und natürlich kann man über den QR-Scan mit einem Smartphone oder Tablet direkt aus dem Taschenbuch in den Buchprojektblog hüpfen und sich über den aktuellen Stand, Aktionen und das Making-of informieren.

WRF: Das Einbinden von QR-Codes in Holzbücher zum »Sprung in aktuelle Netz« ist eine bestechende Idee. Allerdings habe ich keinen Schimmer, ob das vom Leser auch tatsächlich genutzt wird. Im Kern lautet das Thema, wie man Brücken zwischen Elektro und Holz schlägt, wobei ja die Grundvoraussetzung für die Nutzung von QR-Codes auch die Verfügbarkeit von Netz zwingend ist. Die Nutzung von Büchern außerhalb der Netze wird damit eingeschränkt. Wie sind denn die Erfahrungen bzw. Zahlen aus deinem Projekt? 

WS: Die Rotbartsaga ist soweit ich weiß, der erste Roman und eines der ersten Bücher überhaupt, die dieses Konzept verfolgen und das Experiment läuft gerade einmal seit Ende letzten Jahres. Natürlich wird der Roman auch ohne die Vernetzung mit dem im WWW vorhandenen geballten Hintergrundwissen mit jeder gelesenen Seite spannender und man wird immer mehr von Rotbarts Welt gefesselt, wie ein Leser nach seiner ausführlichen Besprechung auf Amazon konstatiert. Es geht also auch völlig ohne. Belastbare Zahlen zur Nutzung des Vernetzungsangebots habe ich also noch nicht. Lediglich die Kommunikation über den Rotbartsaga-Projektblog, wo sozusagen alle virtuellen Fäden zum Buch zusammenlaufen, zeigt, dass der eine oder andere Leser die zusätzlichen smarten Informationsangebote tatsächlich bereits nutzt.
Natürlich ist trotz der Vernetzung der Charakter des Holzbuches ein völlig anderer als der eines E-Books, das nach meiner Auffassung vor allem dort seine Stärken entwickelt, wo es um die interne Verlinkung des Inhalts geht. Für einen Roman sicher nicht die wichtigste Option. Aber es geht bei der Frage von Holz- oder Elektrobuch ja nicht um Alternativen.

WRF: Wir stehen hinsichtlich der Publikationsformen doch erst ganz am Anfang einer umwälzenden Entwicklung. Für jedes Projekt, das sich dynamisch entwickelt und fortgeschrieben wird, bedeutet das E-Book eine unglaubliche Chance. Nicht nur, dass Bücher per Knopfdruck aktualisiert werden können, es gibt auch die Möglichkeit, innerhalb der Bücher zu kommentieren und diese Kommentare anderen Nutzern zugänglich zu machen. Unter dem berühmten Strich entsteht ein Miteinander, das zu einem Gemeinschaftswerk wachsen kann. Besonders positiv, das zeigt sich bei der E-Book-Version des »ABC« ist auch, dass die Begriffe untereinander hundertfach verlinkt sind. So lässt sich das Handbuch auf verschiedenste Weise nutzen: zur gezielten Suche, zum Blättern, zum Umherspringen und zum systematischen Lesen.




WS: Nach dem, was Du gerade gesagt hast, ist im Grunde ja nicht nur die Rotbartsaga, sondern auch das »ABC der Verlagssprache« ein Experiment. Beide von älteren selfpublishenden Herrschaften, die Jahrzehnte lang in der Publikationsbranche zugange waren. Mein etwas subjektiver Eindruck: Die nachwachsenden Autoren sind da weniger experimentierfreudig und die Szene der Self-Publisher ist tendenziell wieder eher bemüht, sich mit bestsellerträchtigen Mainstreamtraktaten möglichst von großen Publikumsverlagen einfangen zu lassen. So von Saurier zu Saurier, teilst Du diese Momentaufnahme oder hast Du diesbezüglich ein ermutigendes Schlusswort auf Lager?

WRF: Für uns Dinos steht nicht mehr das Geldverdienen und der Traum vom Berühmt-Werden im Vordergrund unserer publizistischen Bemühungen. Deshalb sind wir experimentierfreudiger und schwimmen auch gern mal gegen den Strom.  Die Masse der Self-Publisher hingegen treibt nach meiner Beobachtung im Mainstream und hofft, irgendwann einen Bestseller zu platzieren. Viele entzünden ihr Licht, weil sie von »richtigen« Verlagen bemerkt werden wollen, um dort Karriere zu machen. Dass dies durchaus funktioniert, zeigen diverse Beispiele aktueller Lieblingsautoren der Szene. Ich wünsche jedem Autor den verdienten Erfolg und bin stolz, dass mein Ratgeber »Kindle für Autoren« beispielsweise den Erfolg von Nika Lubitsch, Kindle-Bestseller-Autorin Nr. 1 des Jahres 2012, begründete. Mich macht es glücklich, eine stabile Lesergemeinde bedienen zu dürfen, die mir teilweise seit Jahrzehnten treu ist und zudem ständig wächst.

WS: Rupi, so sei es!

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