Autorengespräch
zwischen Wolfgang Schwerdt und Ruprecht Frieling
Mit dem »ABC der Verlagssprache« hat Ruprecht Frieling seinen neuesten
Streich auf der Bühne des Buchmarktes vollführt. Ein Buch in der Tradition
seiner Ratgeberserie »Frielings Bücher für Autoren« und doch etwas völlig
anderes. Immerhin rund 3.500 Begriffe aus der Literatur-, Bücher-, und
Kommunikationswelt hat Frieling zusammengetragen und erklärt. Da finden sich
Antworten auf die Fragen »Was unterscheidet Self-Publisher von
Hybrid-Autoren?«, »Was leisten Lektoren, was Korrektoren?«, »Was bedeuten
Cliffhanger, Twist und auktorialer Erzähler?«, »Welche Begriffe verschlüsseln
»DTP», »BoD«, »DKZV«, »KDP«, »GNU« und »VLB«?«, »Was verstehen Profis unter
Blurb-Text, Clue Writing, Selfies, Drabbles und Infodump?«
Nicht nur
für Nachwuchsautoren sind diese Informationen im täglichen Geschäft Gold wert.
Was der Schriftsteller allerdings mit aus der kommunikationstechnologischen
Steinzeit stammenden Begriffen wie beispielsweise »Akustikkoppler« anfangen
soll, wenn er beispielsweise mit seinem Verlag über Dateiformatfragen
diskutiert, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Bei genauerer
Betrachtung finden sich in Frielings »ABC« allerdings neben der Darstellung von
40 Jahren technologischem und wirtschaftlichem Strukturwandel im Verlagswesen
auch grammatikalische und literarische Begriffserläuterungen sowie andere
Informationen, mit denen man in einem ABC des Verlagswesens nicht zwingend
rechnet. Marktmenschen würden wahrscheinlich sagen: »Das Produkt ist
erklärungsbedürftig«.
Tatsächlich
steckt in dem Nachschlagewerk viel mehr als nur eine statische Auflistung von
Begriffserklärungen. Was genau, darüber unterhalten sich Wolfgang Schwerdt und Wilhelm Ruprecht Frieling in einem Gespräch unter Kollegen.
Wolfgang Schwerdt |
WS: Wer das gerade erschienene »ABC der Verlagssprache« als Taschenbuch oder als E-Book
aufschlägt, der wird auf dem ersten Blick mit dem verborgenen Charme eines
Telefonbuchs konfrontiert - eine unendlich erscheinende alphabethische Liste
scheinbar willkürlich ausgewählter Begriffserklärungen. Wen willst du damit vom
Hocker reißen?
Ruprecht FRieling |
WRF: Der Charme eines Wörterbuchs liegt für mich
darin, den gesamten Kosmos eines Wissensgebietes in komprimierter Form auf die
Begrifflichkeit eingedampft zu sehen. Ich sammele seit Jahrzehnen
Nachschlagewerke und nutze sie in meiner täglichen Arbeit als Autor viel
stärker als beispielsweise Google, denn ich komme gezielter zu den Punkten, die
mich tatsächlich interessieren und weiterbringen. Für das vorliegende Buch habe
ich in meinen mehr als vierzig Berufsjahren immer wieder auftauchende Begriffe
gesammelt, die mir in der Welt der Büchermacher begegnet sind. Vor gefühlten
300 Jahren veröffentlichte ich bereits ein »Wörterbuch der Verlagssprache«, das
vor allem jene Begriffe definierte, die in den Gesellenprüfungen der Verlagskaufleute,
Drucker, Setzer und Reprofotografen abgefragt wurden. Damals gab es noch kein
Internet, durch mein Nachschlagewerk ließ sich die Prüfung sehr viel leichter
bestehen. Dann erfolgte die Umwälzung der gesamten Branche durch die
Digitalisierung, es tauchten zahlreiche neue Begriffe auf, die ich aufgriff und
in das vollständig überarbeitete »ABC der Verlagssprache« einfließen ließ.
WS: Steigen wir einmal direkt in das Werk
ein. Buchstabe A, erste Seite. Da finde ich Begriffe wie Adlerpult, Adligat, Adverb,
Absatzausschließung, AfA, Account, Aluminiumdruckplatte, Anathem oder
Adblocker. Einige davon habe ich noch nie gehört, andere sollten selbst
Hobbyautoren geläufig sein, wieder andere sind alles andere als verlags- buch-
oder auch nur literaturspezifisch. Ich persönlich finde das schlichtweg
spannend, Erinnerungen werden wach, Wissenslücken deutlich und es offenbart
sich die Tatsache, dass sich das Literaturschaffen nicht in einem
gesellschaftlich und technologisch isolierten Raum abspielt. Aber welchen
Nutzen weist Du selbst Deinem Werk für Deine Leser zu?
Kindle Seite des ABCs |
WRF: Die Auswahl der Begriffe ist – wie gesagt –
subjektiv. Es sind Begriffe, die mir in meiner beruflichen Laufbahn wiederholt
begegneten und insofern haben sie allesamt etwas mit den Tätigkeitsfeldern von
Autor und Verleger zu tun. Viele Begriffe der Literaturwissenschaft sind
wichtig, um Missverständnisse im Dialog mit Lektoren, Korrektoren und
Gestaltern zu vermeiden. Gleichzeitig spiegelt ein derartiges Wörterbuch auch
die Technikgeschichte wider und sammelt Begriffe, die gestern modern und heute
schon wieder vergessen sind. Matthias
Matting, der in der Selfpublisher-Bibel urteilt, »Das ABC sollte in keiner
Autoren-Bibliothek fehlen«, freut sich beispielsweise in seiner
Buchbesprechung über den Begriff »Akkustikkoppler«, der sogar schon vor seiner eigenen Online-Zeit
lag (er nutzte ein Modem). Der konkrete Nutzen für den Anwender liegt
darin, dass er sich zweifelsfrei mit Dienstleistern, Anbietern, Kollegen und
Lesern verständigen kann.
WS: Unter »W« findet sich gleich zu Anfang
das Wort »Wachsmatritze«. Ich erinnere mich, ebenfalls etwas zum nach Spiritus
duftenden Umdruckverfahren gelesen zu haben, das sich in vorelektronischen
Zeiten vor allem in Lehrerzimmern und konspirativen Wohnungen
salonrevolutionärer Gruppen etabliert hatte. Ich selbst habe damals als Juso
mehrere Jahre lang eine Monatszeitschrift mit Wachsmatritzentechnik
herausgebracht, eine mit heutigen Möglichkeiten verglichen abenteuerliche
Produktionstechnik. Welches Anekdötchen kann denn Frieling zu diesem Thema
beitragen. Findest du nicht auch, dass so etwas in dem ABC einen guten Platz
hätte?
Blatt aus dem »Filterdienst« |
WS: Von uraltem Sack zu uraltem Sack: Es gab
eine Korrekturmöglichkeit. Wenn Du den Tippfehler gleich entdeckt hattest,
konntest Du eine rosafarbene Flüssigwachsschicht (ähnlich dem unsäglichen Tipp-Ex,
das ich Dir hiermit zur Ergänzung des ABCs anheimstelle) auftragen, warten, bis
sie getrocknet war und dann den korrekten Buchstaben einschlagen.
WRF: Wir hätten uns ein halbes Jahrhundert früher
kennenlernen sollen …
WS: Aber nun mal in die Gegenwart. Mit »Indie«
oder »Selfie« hast Du Begriffe aufgenommen, die als feste Definitionen noch gar
nicht richtig in der Allgemeinheit verankert sind. Genau deshalb scheint es
hier das Bestreben zu geben, solche Begriffe von der einen oder anderen Partei
im Kampf um Marktanteile und Definitionsmacht zwischen Verlagen, Handel und
Autoren mit eigenen Bedeutungen zu belegen. Im »ABC« fehlen diese Hinweise.
Warum?
WRF: Den Kampf um die Deutungshoheit der Begriffe
kennzeichnet die gesamte Technik- und Kulturgeschichte. Unternehmen sind bestrebt,
ihre Marke zum Appellativum – schon wieder
ein Begriff aus dem »ABC« –, also zum verallgemeinernden Namen, der sowohl eine Gattung als auch Exemplare
derselben kennzeichnet und charakterisiert, zu machen. Im Wörterbuch nenne ich
als Beispiel »Tempo« für Papiertaschentücher und »Viagra« für Potenzmittel. Amazon strebt an,
»Kindle« als Gattungsnamen für E-Book-Reader durchzusetzen. Das ist ihnen zumindest
bei mir fast gelungen, den »Tolino« habe ich nämlich in meinem »ABC« vergessen.
Wird dann in der nächsten Aktualisierung, die für alle E-Book-Käufer gratis
erfolgt, nachgeliefert.
WS: Es versteht sich von selbst, dass nicht
nur angesichts der rasanten Entwicklung das »ABC« nie abgeschlossen sein kann.
Du selbst rufst ja deine Leser auf, Vorschläge für weitere Begriffe aber auch
Korrekturen zu machen. Zumindest das E-Book dürfte damit ein permanentes und im
gewissen Sinne auch interaktives Projekt sein. Ich denke, das ist es, was neben
deinen 40 Jahren Erfahrung – die meines Erachtens durchaus noch etwas
deutlicher eingearbeitet werden könnten - die eigentliche Faszination des
Werkes über die imposante Begriffssammlung hinaus eigentlich ausmacht. Wie
dynamisch hast Du den Prozess denn angelegt?
Seite
Aus der Rotbartsaga mit in eine
Illustration
eingebundenem QR-Code
|
WS: Nun, beim Paperback
muss eine aktualisierte Version aber jeweils nachgekauft werden. Die Aktualisierungen hingegen werden, wie Du
gesagt hast, für alle E-Book-Käufer gratis nachgeliefert. Gerade für inhaltlich sehr dynamische
Literaturprojekte ist die E-Book-Technologie also ideal. Du hast das »ABC« aber
auch als klassisches und damit inhaltlich statisches Taschenbuch herausgegeben.
Könntest Du Dir vorstellen, auch hier aus obengenannten Gründen neue Wege zu
beschreiten, wie ich es beispielsweise mit meinem Buchprojekt »Rotbartsaga« versuche. Wegen des aufwändigen Layouts
ist für die Rotbartsaga das E-Book sicherlich nicht die Publikationsform erster
Wahl (obwohl es auch ein Kindle dazu gibt). Daher beziehe ich über
QR-Codes historische Hintergrundinformationen in Form von Internetvideos,
Online-Artikel, Hörgeschichten in mein Holzbuch mit ein, die bei Bedarf jeweils
elektronisch aktualisiert werden können. Und natürlich kann man über den
QR-Scan mit einem Smartphone oder Tablet direkt aus dem Taschenbuch in den Buchprojektblog hüpfen und sich über den aktuellen Stand,
Aktionen und das Making-of informieren.
WRF: Das
Einbinden von QR-Codes in Holzbücher zum »Sprung in aktuelle Netz« ist eine
bestechende Idee. Allerdings habe ich keinen Schimmer, ob das vom Leser auch
tatsächlich genutzt wird. Im Kern lautet das Thema, wie man Brücken zwischen
Elektro und Holz schlägt, wobei ja die Grundvoraussetzung für die Nutzung von
QR-Codes auch die Verfügbarkeit von Netz zwingend ist. Die Nutzung von Büchern
außerhalb der Netze wird damit eingeschränkt. Wie sind denn die Erfahrungen
bzw. Zahlen aus deinem Projekt?
WS: Die Rotbartsaga
ist soweit ich weiß, der erste Roman und eines der ersten Bücher überhaupt, die
dieses Konzept verfolgen und das Experiment läuft gerade einmal seit Ende
letzten Jahres. Natürlich wird der Roman auch ohne die Vernetzung mit dem im WWW
vorhandenen geballten Hintergrundwissen mit
jeder gelesenen Seite spannender und man wird immer mehr von Rotbarts Welt
gefesselt, wie ein Leser nach seiner ausführlichen Besprechung auf Amazon konstatiert. Es geht also auch völlig ohne. Belastbare
Zahlen zur Nutzung des Vernetzungsangebots habe ich also noch nicht. Lediglich
die Kommunikation über den Rotbartsaga-Projektblog, wo sozusagen
alle virtuellen Fäden zum Buch zusammenlaufen, zeigt, dass der eine oder andere
Leser die zusätzlichen smarten Informationsangebote tatsächlich bereits nutzt.
Natürlich ist trotz der Vernetzung der Charakter des Holzbuches ein
völlig anderer als der eines E-Books, das nach meiner Auffassung vor allem dort
seine Stärken entwickelt, wo es um die interne Verlinkung des Inhalts geht. Für
einen Roman sicher nicht die wichtigste Option. Aber es geht bei der Frage von
Holz- oder Elektrobuch ja nicht um Alternativen.
WRF: Wir stehen hinsichtlich der Publikationsformen doch erst ganz am
Anfang einer umwälzenden Entwicklung. Für jedes Projekt, das sich dynamisch
entwickelt und fortgeschrieben wird, bedeutet das E-Book eine unglaubliche
Chance. Nicht nur, dass Bücher per Knopfdruck aktualisiert werden können, es
gibt auch die Möglichkeit, innerhalb der Bücher zu kommentieren und diese
Kommentare anderen Nutzern zugänglich zu machen. Unter dem berühmten Strich
entsteht ein Miteinander,
das zu einem Gemeinschaftswerk wachsen kann. Besonders positiv, das zeigt sich
bei der E-Book-Version des »ABC« ist auch, dass die Begriffe untereinander
hundertfach verlinkt sind. So lässt sich das Handbuch auf verschiedenste Weise
nutzen: zur gezielten Suche, zum Blättern, zum Umherspringen und zum
systematischen Lesen.
WS: Nach dem, was Du gerade gesagt hast, ist im Grunde ja nicht nur die Rotbartsaga, sondern auch das »ABC der Verlagssprache« ein Experiment. Beide von älteren selfpublishenden Herrschaften, die Jahrzehnte lang in der Publikationsbranche zugange waren. Mein etwas subjektiver Eindruck: Die nachwachsenden Autoren sind da weniger experimentierfreudig und die Szene der Self-Publisher ist tendenziell wieder eher bemüht, sich mit bestsellerträchtigen Mainstreamtraktaten möglichst von großen Publikumsverlagen einfangen zu lassen. So von Saurier zu Saurier, teilst Du diese Momentaufnahme oder hast Du diesbezüglich ein ermutigendes Schlusswort auf Lager?
WRF: Für uns Dinos steht nicht mehr
das Geldverdienen und der Traum vom Berühmt-Werden im Vordergrund unserer
publizistischen Bemühungen. Deshalb sind wir experimentierfreudiger und
schwimmen auch gern mal gegen den Strom.
Die Masse der Self-Publisher hingegen treibt nach meiner Beobachtung im
Mainstream und hofft, irgendwann einen Bestseller zu platzieren. Viele
entzünden ihr Licht, weil sie von »richtigen« Verlagen bemerkt werden wollen,
um dort Karriere zu machen. Dass dies durchaus funktioniert, zeigen diverse Beispiele aktueller Lieblingsautoren der
Szene. Ich wünsche jedem Autor den verdienten Erfolg und bin stolz, dass mein
Ratgeber »Kindle für Autoren« beispielsweise den Erfolg von Nika
Lubitsch, Kindle-Bestseller-Autorin
Nr. 1 des Jahres 2012,
begründete. Mich macht es glücklich, eine stabile Lesergemeinde bedienen zu
dürfen, die mir teilweise seit Jahrzehnten treu ist und zudem ständig wächst.
WS: Rupi, so sei es!
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