Donnerstag, 29. November 2012

Detlev Crusius: Grenzgänger zwischen den Welten


Wolfgang Schwerdt vom Kulturstrom im Gespräch mit dem Thrillerautor

Er hat ein im wahrsten Sinne des Wortes bewegtes Leben hinter sich, der Politthriller-Autor Detlev Crusius. Geboren 1942 in Landsberg (Ostbrandenburg) erlebte er bereits mit drei Jahren die Flucht vor der Roten Armee nach Güstrow. 1953 folgte die nächste Flucht nach Westdeutschland und mit 15 Jahren heuerte er als Schiffsjunge bei der Handelsmarine an, die er nach sieben Jahren großer Fahrt als Matrose verließ. Nach kaufmännischer Lehre und einer EDV-Ausbildung trieb es ihn im Rahmen von Projekten wieder in die Welt hinaus, nach London, Rom, Moskau, Libyen, Kuwait und Saudi Arabien. Und in diesem Zusammenhang verstrickte er sich schließlich auch in die Machenschaften der internationalen Geheimdienste. Die Folge: drei Jahre Gefängnis, dort entstand sein erster Roman – „Absturz“.


Kulturstrom: Herr Crusius, „Absturz“ ist ein autobiografischer Roman. Dem sind beispielsweise mit „1945 – der letzte Befehl“ oder „Mein russisches Tagebuch“ und nicht zuletzt „Grenzgänger“ noch einige autobiografische Geschichten, wie der Roman „TARHUNA. Giftgas für Libyen“ gefolgt. Ist das primär Vergangenheitsbewältigung oder vor allem Spaß am Schreiben.

D. Crusius: Vergangenheitsbewältigung und Lust am Schreiben. Absturz ist während der 15 Monate Untersuchungshaft im Gefängnis entstanden, dort vor allen Dingen, weil ich nicht durchdrehen wollte. Das ist schnell passiert, wenn man 23 Stunden am Tag auf 8qm leben muss. Zieht man Stuhl, Tisch und Bett ab, bleiben 3qm. Ich betrete heute noch sehr ungern Fahrstühle und halte mich auch von Menschenansammlungen fern. Aber ich habe auch deshalb im Knast geschrieben, weil ich mich innerlich von meiner Umgebung entfernen wollte. Es mag sich merkwürdig anhören, aber wenn ich schreibe, verschwinde ich in eine Parallelwelt. Das habe ich ausgenutzt – ich war nicht mehr da. Mich konnte anstänkern wer wollte, ich hörte es nicht.

Was ich unbedingt als Fortsetzung von Die Zelle schreiben will, ist ein Roman über einen Strafgefangenen, der entlassen wird und vor den Scherben seines Lebens steht. Was erlebt er mit seinen Mitmenschen, wie wird er aufgenommen, weshalb gibt es so viele Rückfalltäter. Die Justiz will die Strafgefangenen bessern, hat sie eine Chance? Das soll keine Anklage an die Gesellschaft werden, so einfach darf man es sich nicht machen. Es soll so etwas wie eine Ist-Aufnahme werden, bestenfalls auch zum Nachdenken anregen. Der Titel könnte lauten – Zeiten ändern dich.

Kulturstrom: In den Serien „Der Plan“ oder „Kasino Rossija“ schöpfen Sie zwar aus ihren ganz persönlichen Erfahrungen, ein wenig mehr Fiktion scheint es dabei aber auch zu geben. Und Sie sagen ja selbst, dass Sie hier auch Informationen von Freunden, aber auch aktuelle Nachrichten in ihre Werke mit einarbeiten.

D. Crusius: Kasino besonders aber auch Der Plan sind autobiografisch geprägt, das ist richtig. Ich habe Moskau zu einer Zeit erlebt, als es in den Köpfen sehr vieler Menschen „Hort des Bösen“ genannt wurde, ein Ausspruch Ronald Reagans. Ich kam nach Russland beladen mit vielen Vorurteilen, die noch aus meiner Kindheit in der DDR stammten. Dann merkte ich sehr schnell – die Russen sind ja wie wir. Sie arbeiten, haben Familie, feiern – sie wollen nicht mehr als wir auch: ein bisschen Glück im Leben finden. Und dazu kommt eine Erfahrung, die mich heute noch überrascht, wenn ich nach Russland komme. Man hört in Deutschland viele Vorurteile gegenüber Russland, „den Russen“, ich will sie hier nicht aufzählen. Umgekehrt habe ich es in all den Jahren seit 1987 nicht ein einziges Mal erlebt, dass ein Russe mir mit einer vorgefertigten Meinung oder Abneigung entgegengetreten wäre.

Der Plan hat einen anderen Hintergrund. Die Mächtigen dieser Welt, ich nenne sie mal so, haben mir mit der Inhaftierung und dem Urteil gesagt – ab jetzt siehst du die Welt mit unseren Augen, aus unserem Blickwinkel. Na gut, habe ich mir gedacht, dann sehe ich die Welt mit Euren Augen, schreibe auf, wie ich sie durch Eure Augen sehe, aber beschwert Euch nicht, wenn Euch das Ergebnis nicht gefällt. Was ich im Plan schreibe, habe ich nur zum geringen Teil selbst erlebt, zum großen Teil ist es mir auf verschiedenen Wegen von befreundeten Insidern zugetragen worden. Aber ich habe auch viel den Medien entnommen. Wikileaks schrieb beispielsweise Weihnachten 2010: in der Sahara steht Plutonium herum. Das wusste ich auch vorher, aber ein Kabel der US-Botschaft abgedruckt im Spiegel ist ein Beweis. Wie das Plutonium in die Wüste gekommen ist, das ist auch keine Fiktion, aber dafür fehlen mir Beweise. Bei den Geschäftsleuten, die darin verwickelt waren, handelte es sich dem Wesen nach um Undercover-Agenten der CIA, aber das konnte man nicht zugeben. Und damit es nicht durchsickert, hat man sie ins Gefängnis gesteckt. Den Prozessen in der Schweiz und auch mehreren in Deutschland lag immer ein Deal zu Grunde, auch in meinem Fall war das so. Man kann es schlicht ausdrücken – du hältst den Mund und wir lassen dich raus. Ganz einfach.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zum Deal. Diese Gerichtspraxis wird gerade vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Mit Gleichheit vor dem Gesetz hat ein Deal nichts zu tun. Es mag ja sein, dass die Justiz überlastet ist, aber mit der Methode – lege ein Geständnis ab – dann bist du ein „angenehmer“ Angeklagter und wir lassen dich laufen, oder nenne bloß keine Namen, wir haben auch so genug zu tun, kann es keine Gerechtigkeit geben. Dem Angeklagten wird dann auch noch vorgegaukelt, es sei in seinem Interesse.

Kulturstrom: Apropos Gerechtigkeit. Im Vorwort zu Ihrem Buch „TARHUNA. Giftgas für Libyen“ schreiben Sie: “Es erschreckt mich zutiefst, zu sehen, was dort immer noch im Namen der Wirtschaft, Demokratie und Staatsraison geschieht.“ Das bezieht sich sicherlich auch auf die so eindrucksvoll beschriebene Folterszene am Anfang Ihres Buches „Marionetten“.

D. Crusius: Im vierten Teil von Der Plan, Marionetten, beschreibe ich, wie in Libyen im Auftrag der CIA gefoltert wird. Dafür gibt es Beweise. Die Szenen, so wie ich sie beschreibe, müssen allerdings Fiktion bleiben. Die Realität, so wie ich sie erfahren habe, war so fürchterlich, dass ich es nicht aufschreiben darf.
Was mich in diesem Zusammenhang irritiert ist die Tatsache, dass die Medien diese Tatbestände nicht stärker aufgegriffen haben. Warum muss ich das tun? Warum hat es keine Artikelserie über die Foltergefängnisse der CIA in Libyen und Ägypten gegeben? Die Gefängnisse in Rumänien, Polen, die Geheimflüge der CIA von Deutschland, Flughafen Ramstein, warum schreibt keins der auflagenstarken Magazine darüber? Interessieren sich die Deutschen wirklich nur für Fußball und den nächsten Urlaub? Oder ist es eher so, dass da von sehr weit oben ein Anruf in der Chefredaktion droht?

Dazu passt eine interessante Erfahrung. Ich bin begeisterter online-Zeitungsleser. Ich habe die Adressen von rund 20 deutsch u. englischsprachigen Zeitungen in meinem Rechner, die ich jeden Vormittag auf der Suche nach interessanten Meldungen durchstöbere. Anfangs ist es mir immer wieder passiert, dass ich eine wirklich brisante Meldung aus Afghanistan oder Kairo gefunden hatte. Ich habe die Web-Adresse der Meldung gesichert und nur Stunden oder einen Tag später war die Meldung verschwunden. Seit der Zeit lade ich die Meldungen herunter, damit mir nicht der Löschteufel in der Redaktion dazwischen kommt, der zu Gunsten des Atlantischen Bündnisses etwas ausradieren musste. In den ausländischen Zeitungen passiert das selten, in den deutschen öfter. Bei den Filmen in YouTube kommt es auch vor. Mein Archiv nähert sich inzwischen dem Umfang eines Gigabytes.

Kulturstrom: Das – ich sage einmal diplomatisch – internationale Engagement in Libyen hatte ja offiziell humanitäre Gründe. Natürlich wäre es naiv, zu glauben, dass ausgerechnet Menschenrechte die treibende Kraft der jeweiligen Außenpolitik darstellen. Spielen die aber nach Ihrer Meinung gar keine Rolle im internationalen Politikgeschäft?

D. Crusius: Ich habe aus berufenem Mund mal den Satz gehört – Außenpolitik hat nichts mit Menschenrechten zu tun, sondern nur mit den Interessen des eigenen Landes. Das mag so sein, aber wenn die Missachtung der Menschenrechte in Saudi Arabien Voraussetzung dafür ist, dass in Europa die Spritpreise moderat bleiben, dann sollte man es den Menschen auch sagen. Verglichen mit Saudi Arabien war Libyen ein fortschrittliches Land. Gegen Libyen wurde Krieg geführt, der noch lange nicht zu Ende ist. Deutsche Soldaten kämpfen und sterben demnächst in Mali, eine unmittelbare Folge des Libyen-Krieges. Und in der Zwischenzeit dürfen in Riad, Jeddah und Janbu weiter Köpfe und Hände abgehackt werden und Frauen werden gesteinigt, nur weil sie einen anderen Mann angeblickt haben oder mit unbedeckten Armen in der Sonne am Strand gesessen haben.

Kulturstrom: Wird es irgendwann aus ihrer Feder einen rein fiktionalen „Spionageroman“ geben? Ist das für Sie überhaupt vorstellbar?

D. Crusius: Fiktionaler Spionage Roman? Ich versuche es immer wieder, sammele täglich Ideen und dann kommt mir ein kurzer Zeitungsbericht dazwischen und meine Fiktion ist wieder schnöde Realität. Einen fiktiven Spionageroman müsste ich auf dem Mars ansiedeln. Ich befinde mich aber in bester Gesellschaft. Wenn ich z.B. die Romane von John le Carré lese oder auch Graham Green, dann erkenne ich, dass sich die Altmeister dieses Genres so viel auch nicht ausgedacht haben. Nicht einmal Hemingway hat sich viel ausgedacht, was ich bei keinem der drei genannten Namen negativ meine, ganz im Gegenteil, denn sie sind meine Vorbilder. Die Realität ist viel bunter, brutaler, fürchterlicher als jede Fiktion, wenigstens in diesem Bereich.

Kulturstrom: Betrachtet man ihre bisherige Lebensgeschichte, so wirken sie wie ein Getriebener. Einen großen Teil Ihres Lebens waren sie das ja auch in unterschiedlicher Form. Und es sieht fast so aus, dass nun, wo sie – vermutlich – zumindest hinsichtlich ihres Wohnortes zur Ruhe gekommen scheinen, sie ihren „Bewegungsdrang“  in Form von Publikationen ausleben. Rund 17 Bücher beziehungsweise Geschichten habe ich gezählt, fast alle veröffentlicht innerhalb der letzten zwei Jahre. Ihre Zeitzeugen-Essays gar nicht mitgerechnet.

D. Crusius: Ich konnte in den letzten 2 Jahren viel veröffentlichen, weil ich auf Vorrat geschrieben habe. Kasino Rossija stammt zum Teil noch aus der Zeit der U-Haft. Im Moment arbeite ich an einer Geschichte, die in Russland und Spanien spielt. Es ist zum großen Teil Fiktion, weil die Beteiligten noch leben und auch, weil ich Erlebnisse mehrerer Personen zusammengefasst habe. Es geht um die Evakuierung ins Ausland von rund 35.000 Kindern 1938 gegen Ende des spanischen Bürgerkrieges. Die Kinder kamen überwiegend aus der Gegend Barcelona und Valencia, einer traditionell republikanischen Region Spaniens. Die Eltern der Kinder hatten begründete Angst vor der Rache der Franco-Anhänger, nur wenige der Eltern haben die anschließenden Säuberungen überlebt. Etwa 3.400 Kinder kamen nach Leningrad und eine Spanierin aus Leningrad, heute 77 Jahre alt, habe ich hier in Valencia kennengelernt. Sie ist 1993 mit ihrem russischen Mann und 2 Töchtern nach Spanien zurückgekommen. Sie erzählt unglaubliche Geschichten. Selbst in Spanien ist dieser Teil der eigenen Geschichte weitgehend unbekannt, besser gesagt, er wird totgeschwiegen. König Carlos hat vor ein oder zwei Jahren eine Historiker-Konferenz eingesetzt, die sich „um die Wahrheit der Franco-Zeit“ bemühen sollte. Herausgekommen ist, dass Franco so schlimm gar nicht war.

Getriebener? Ja, bin ich. Ich habe tagtäglich das Gefühl, ich müsste mich beeilen. Es ist sehr viel noch nicht gesagt. Manchmal scheint mir, es wird täglich mehr. Ich bin jetzt 70 Jahre, ich muss mich dranhalten. Ich tue es aber gerne, denn solange der Kopf funktioniert, geht es auch dem Rest des Körpers gut.
Ich bedauere nur, dass ich nicht viel früher mit Veröffentlichungen begonnen habe. Genug geschrieben habe ich auch früher. Die handschriftlichen Manuskripte aus dem Knast habe ich heute noch, trotz einiger Umzüge seit meiner Freilassung. Ob Valencia meine letzte Station ist? Ich habe Zweifel.

Kulturstrom: Dann gibt es ja noch das Kapitel Seefahrt. Und ich weiß, dass sie immer noch ihr Zeugnis von der Äquatortaufe im Jahre 1957 aufbewahren. In ihren Büchern findet sich diese Phase ihres Lebens noch nicht wieder. Welche Art von Erinnerungen haben sie an diese Zeit und darf man irgendwann etwas über die Abenteuer des Schiffsjungen Crusius, der zum Matrosen wird, lesen?

D. Crusius: Ich habe sehr gute Erinnerungen an die Zeit bei der Handelsmarine. Trotzdem bin ich froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Auf Dauer wäre das nichts für mich gewesen. In Buchform wird es den Teil Seefahrt bald geben, ich hoffe im Herbst 2013. Das ist dann die Fortsetzung von Grenzgänger. Aber ich sage gleich dazu, dass ich mir immer mehr vornehme, als ich bewältigen kann.

Kulturstrom: Herr Crusius, ich danke ihnen für dieses Gespräch

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