Wolfgang Schwerdt vom
Kulturstrom im Gespräch mit dem Thrillerautor
Er hat ein im wahrsten Sinne des Wortes bewegtes Leben hinter sich, der
Politthriller-Autor Detlev Crusius. Geboren 1942 in Landsberg (Ostbrandenburg) erlebte
er bereits mit drei Jahren die Flucht vor der Roten Armee nach Güstrow. 1953
folgte die nächste Flucht nach Westdeutschland und mit 15 Jahren heuerte er als
Schiffsjunge bei der Handelsmarine an, die er nach sieben Jahren großer Fahrt
als Matrose verließ. Nach kaufmännischer Lehre und einer EDV-Ausbildung trieb
es ihn im Rahmen von Projekten wieder in die Welt hinaus, nach London, Rom,
Moskau, Libyen, Kuwait und Saudi Arabien. Und in diesem Zusammenhang
verstrickte er sich schließlich auch in die Machenschaften der internationalen
Geheimdienste. Die Folge: drei Jahre Gefängnis, dort entstand sein erster Roman
– „Absturz“.
Kulturstrom: Herr Crusius, „Absturz“ ist ein
autobiografischer Roman. Dem sind beispielsweise mit „1945 – der letzte Befehl“
oder „Mein russisches Tagebuch“ und nicht zuletzt „Grenzgänger“ noch einige
autobiografische Geschichten, wie der Roman „TARHUNA. Giftgas für Libyen“
gefolgt. Ist das primär Vergangenheitsbewältigung oder vor allem Spaß am
Schreiben.
D. Crusius: Vergangenheitsbewältigung und Lust am Schreiben.
Absturz ist während der 15 Monate Untersuchungshaft im Gefängnis entstanden,
dort vor allen Dingen, weil ich nicht durchdrehen wollte. Das ist schnell
passiert, wenn man 23 Stunden am Tag auf 8qm leben muss. Zieht man Stuhl, Tisch
und Bett ab, bleiben 3qm. Ich betrete heute noch sehr ungern Fahrstühle und
halte mich auch von Menschenansammlungen fern. Aber ich habe auch deshalb im
Knast geschrieben, weil ich mich innerlich von meiner Umgebung entfernen wollte.
Es mag sich merkwürdig anhören, aber wenn ich schreibe, verschwinde ich in eine
Parallelwelt. Das habe ich ausgenutzt – ich war nicht mehr da. Mich konnte
anstänkern wer wollte, ich hörte es nicht.
Was ich unbedingt als
Fortsetzung von Die Zelle schreiben will, ist ein
Roman über einen Strafgefangenen, der entlassen wird und vor den
Scherben seines Lebens steht. Was erlebt er mit seinen Mitmenschen, wie wird er
aufgenommen, weshalb gibt es so viele
Rückfalltäter. Die Justiz will die Strafgefangenen bessern, hat sie eine
Chance? Das soll keine Anklage an die Gesellschaft werden, so einfach darf man
es sich nicht machen. Es soll so etwas wie eine Ist-Aufnahme werden, bestenfalls auch zum Nachdenken anregen. Der Titel könnte
lauten – Zeiten ändern dich.
Kulturstrom: In den Serien „Der Plan“ oder „Kasino
Rossija“ schöpfen Sie zwar aus ihren ganz persönlichen Erfahrungen, ein wenig
mehr Fiktion scheint es dabei aber auch zu geben. Und Sie sagen ja selbst, dass
Sie hier auch Informationen von Freunden, aber auch aktuelle Nachrichten in
ihre Werke mit einarbeiten.
D. Crusius: Kasino besonders aber auch Der Plan sind
autobiografisch geprägt, das ist richtig. Ich habe Moskau zu einer Zeit erlebt,
als es in den Köpfen sehr vieler Menschen „Hort des
Bösen“ genannt wurde, ein Ausspruch Ronald Reagans. Ich kam nach Russland
beladen mit vielen Vorurteilen, die noch aus meiner Kindheit in der DDR
stammten. Dann merkte ich sehr schnell – die Russen sind ja wie wir. Sie
arbeiten, haben Familie, feiern – sie wollen nicht mehr als wir auch: ein
bisschen Glück im Leben finden. Und dazu kommt eine Erfahrung, die mich heute
noch überrascht, wenn ich nach Russland komme. Man hört in Deutschland viele
Vorurteile gegenüber Russland, „den Russen“, ich will sie hier nicht aufzählen.
Umgekehrt habe ich es in all den Jahren seit 1987 nicht ein einziges Mal
erlebt, dass ein Russe mir mit einer vorgefertigten Meinung oder Abneigung
entgegengetreten wäre.
Der Plan hat einen anderen
Hintergrund. Die Mächtigen dieser Welt, ich nenne sie mal so, haben mir mit der
Inhaftierung und dem Urteil gesagt – ab jetzt siehst du die Welt mit unseren
Augen, aus unserem Blickwinkel. Na gut, habe ich mir gedacht, dann sehe ich die
Welt mit Euren Augen, schreibe auf, wie ich sie durch Eure Augen sehe, aber beschwert
Euch nicht, wenn Euch das Ergebnis nicht gefällt. Was ich im Plan schreibe,
habe ich nur zum geringen Teil selbst erlebt, zum großen Teil ist es mir auf verschiedenen Wegen von befreundeten Insidern zugetragen
worden. Aber ich habe auch viel den Medien entnommen. Wikileaks schrieb
beispielsweise Weihnachten 2010: in der Sahara steht Plutonium herum. Das wusste
ich auch vorher, aber ein Kabel der US-Botschaft abgedruckt im Spiegel ist ein
Beweis. Wie das Plutonium in die Wüste gekommen ist, das ist auch keine
Fiktion, aber dafür fehlen mir Beweise. Bei den Geschäftsleuten, die darin
verwickelt waren, handelte es sich dem Wesen nach um Undercover-Agenten der
CIA, aber das konnte man nicht zugeben. Und damit es nicht durchsickert, hat
man sie ins Gefängnis gesteckt. Den Prozessen in der Schweiz und auch mehreren
in Deutschland lag immer ein Deal zu Grunde, auch in meinem Fall war das so.
Man kann es schlicht ausdrücken – du hältst den Mund und wir lassen dich raus.
Ganz einfach.
In diesem Zusammenhang
noch ein Wort zum Deal. Diese Gerichtspraxis wird gerade vor dem
Bundesverfassungsgericht verhandelt. Mit Gleichheit vor dem Gesetz hat ein Deal nichts zu tun. Es mag ja sein, dass die
Justiz überlastet ist, aber mit der Methode – lege ein Geständnis ab – dann
bist du ein „angenehmer“ Angeklagter und wir lassen dich laufen, oder nenne
bloß keine Namen, wir haben auch so genug zu tun, kann es keine Gerechtigkeit
geben. Dem Angeklagten wird dann auch noch vorgegaukelt, es sei in seinem
Interesse.
Kulturstrom: Apropos Gerechtigkeit. Im Vorwort zu Ihrem
Buch „TARHUNA. Giftgas für Libyen“ schreiben Sie: “Es erschreckt mich zutiefst,
zu sehen, was dort immer noch im Namen der Wirtschaft, Demokratie und
Staatsraison geschieht.“ Das bezieht sich sicherlich auch auf die so
eindrucksvoll beschriebene Folterszene am Anfang Ihres Buches „Marionetten“.
D. Crusius: Im vierten Teil von Der Plan, Marionetten, beschreibe
ich, wie in Libyen im Auftrag der CIA gefoltert wird. Dafür gibt es Beweise.
Die Szenen, so wie ich sie beschreibe, müssen allerdings Fiktion bleiben. Die
Realität, so wie ich sie erfahren habe, war so fürchterlich, dass ich es nicht
aufschreiben darf.
Was mich in diesem
Zusammenhang irritiert ist die Tatsache, dass die Medien diese Tatbestände
nicht stärker aufgegriffen haben. Warum muss ich das tun? Warum hat es keine
Artikelserie über die Foltergefängnisse der CIA in Libyen und Ägypten gegeben?
Die Gefängnisse in Rumänien, Polen, die Geheimflüge der CIA von Deutschland,
Flughafen Ramstein, warum schreibt keins der auflagenstarken Magazine darüber?
Interessieren sich die Deutschen wirklich nur für Fußball und den nächsten
Urlaub? Oder ist es eher so, dass da von sehr weit oben ein Anruf in der
Chefredaktion droht?
Dazu passt eine
interessante Erfahrung. Ich bin begeisterter online-Zeitungsleser. Ich habe die
Adressen von rund 20 deutsch u. englischsprachigen Zeitungen in meinem Rechner,
die ich jeden Vormittag auf der Suche nach interessanten Meldungen
durchstöbere. Anfangs ist es mir immer wieder passiert, dass ich eine wirklich
brisante Meldung aus Afghanistan oder Kairo gefunden hatte. Ich habe die
Web-Adresse der Meldung gesichert und nur Stunden oder einen Tag später war die
Meldung verschwunden. Seit der Zeit lade ich die Meldungen herunter, damit mir
nicht der Löschteufel in der Redaktion dazwischen kommt, der zu Gunsten des
Atlantischen Bündnisses etwas ausradieren musste. In den ausländischen
Zeitungen passiert das selten, in den deutschen öfter. Bei den Filmen in
YouTube kommt es auch vor. Mein Archiv nähert sich inzwischen dem Umfang eines Gigabytes.
Kulturstrom: Das – ich sage einmal diplomatisch – internationale Engagement in Libyen hatte ja offiziell humanitäre Gründe. Natürlich wäre es naiv, zu glauben, dass ausgerechnet Menschenrechte die treibende Kraft der jeweiligen Außenpolitik darstellen. Spielen die aber nach Ihrer Meinung gar keine Rolle im internationalen Politikgeschäft?
D. Crusius: Ich habe aus berufenem Mund mal den Satz gehört – Außenpolitik hat nichts mit Menschenrechten zu tun, sondern nur mit den Interessen des eigenen Landes. Das mag so sein, aber wenn die Missachtung der Menschenrechte in Saudi Arabien Voraussetzung dafür ist, dass in Europa die Spritpreise moderat bleiben, dann sollte man es den Menschen auch sagen. Verglichen mit Saudi Arabien war Libyen ein fortschrittliches Land. Gegen Libyen wurde Krieg geführt, der noch lange nicht zu Ende ist. Deutsche Soldaten kämpfen und sterben demnächst in Mali, eine unmittelbare Folge des Libyen-Krieges. Und in der Zwischenzeit dürfen in Riad, Jeddah und Janbu weiter Köpfe und Hände abgehackt werden und Frauen werden gesteinigt, nur weil sie einen anderen Mann angeblickt haben oder mit unbedeckten Armen in der Sonne am Strand gesessen haben.
Kulturstrom: Wird es irgendwann aus ihrer Feder einen
rein fiktionalen „Spionageroman“ geben? Ist das für Sie überhaupt vorstellbar?
D. Crusius: Fiktionaler Spionage Roman? Ich versuche es immer
wieder, sammele täglich Ideen und dann kommt mir ein kurzer Zeitungsbericht
dazwischen und meine Fiktion ist wieder schnöde Realität. Einen fiktiven
Spionageroman müsste ich auf dem Mars
ansiedeln. Ich befinde mich aber in bester Gesellschaft. Wenn ich z.B. die
Romane von John le Carré lese oder auch Graham Green, dann erkenne ich, dass
sich die Altmeister dieses Genres so viel auch nicht ausgedacht haben. Nicht
einmal Hemingway hat sich viel ausgedacht, was ich bei keinem der drei
genannten Namen negativ meine, ganz im Gegenteil, denn sie sind meine
Vorbilder. Die Realität ist viel bunter, brutaler, fürchterlicher als jede
Fiktion, wenigstens in diesem Bereich.
Kulturstrom: Betrachtet man ihre bisherige Lebensgeschichte, so wirken sie wie ein Getriebener. Einen großen Teil Ihres Lebens waren sie das ja auch in unterschiedlicher Form. Und es sieht fast so aus, dass nun, wo sie – vermutlich – zumindest hinsichtlich ihres Wohnortes zur Ruhe gekommen scheinen, sie ihren „Bewegungsdrang“ in Form von Publikationen ausleben. Rund 17 Bücher beziehungsweise Geschichten habe ich gezählt, fast alle veröffentlicht innerhalb der letzten zwei Jahre. Ihre Zeitzeugen-Essays gar nicht mitgerechnet.
D. Crusius: Ich konnte in den letzten 2 Jahren viel
veröffentlichen, weil ich auf Vorrat geschrieben habe.
Kasino Rossija stammt zum Teil noch aus der Zeit der U-Haft. Im Moment arbeite ich an einer Geschichte, die in Russland
und Spanien spielt. Es ist zum großen Teil Fiktion, weil die Beteiligten noch
leben und auch, weil ich Erlebnisse mehrerer Personen zusammengefasst habe. Es
geht um die Evakuierung ins Ausland von rund 35.000 Kindern 1938 gegen Ende des
spanischen Bürgerkrieges. Die Kinder kamen überwiegend aus der Gegend Barcelona
und Valencia, einer traditionell republikanischen Region Spaniens. Die Eltern
der Kinder hatten begründete Angst vor der Rache der Franco-Anhänger, nur
wenige der Eltern haben die anschließenden Säuberungen überlebt. Etwa 3.400
Kinder kamen nach Leningrad und eine Spanierin aus Leningrad, heute 77 Jahre
alt, habe ich hier in Valencia kennengelernt. Sie ist 1993 mit ihrem russischen
Mann und 2 Töchtern nach Spanien zurückgekommen. Sie erzählt unglaubliche
Geschichten. Selbst in Spanien ist dieser Teil der eigenen Geschichte
weitgehend unbekannt, besser gesagt, er wird totgeschwiegen. König Carlos hat
vor ein oder zwei Jahren eine Historiker-Konferenz eingesetzt, die sich „um die
Wahrheit der Franco-Zeit“ bemühen sollte. Herausgekommen ist, dass Franco so
schlimm gar nicht war.
Getriebener? Ja, bin ich.
Ich habe tagtäglich das Gefühl, ich müsste mich beeilen. Es ist sehr viel noch
nicht gesagt. Manchmal scheint mir, es wird täglich mehr. Ich bin jetzt 70
Jahre, ich muss mich dranhalten. Ich tue es aber gerne, denn solange der Kopf
funktioniert, geht es auch dem Rest des Körpers gut.
Ich bedauere nur, dass ich
nicht viel früher mit Veröffentlichungen begonnen habe. Genug geschrieben habe
ich auch früher. Die handschriftlichen Manuskripte aus dem Knast habe ich heute
noch, trotz einiger Umzüge seit meiner Freilassung. Ob Valencia meine letzte
Station ist? Ich habe Zweifel.
Kulturstrom: Dann gibt es ja noch das Kapitel Seefahrt.
Und ich weiß, dass sie immer noch ihr Zeugnis von der Äquatortaufe im Jahre
1957 aufbewahren. In ihren Büchern findet sich diese Phase ihres Lebens noch
nicht wieder. Welche Art von Erinnerungen haben sie an diese Zeit und darf man
irgendwann etwas über die Abenteuer des Schiffsjungen Crusius, der zum Matrosen
wird, lesen?
D. Crusius: Ich habe sehr gute Erinnerungen an die Zeit bei der
Handelsmarine. Trotzdem bin ich froh, dass ich den Absprung geschafft habe. Auf
Dauer wäre das nichts für mich gewesen. In Buchform wird es den Teil Seefahrt
bald geben, ich hoffe im Herbst 2013. Das ist dann die Fortsetzung von
Grenzgänger. Aber ich sage gleich dazu, dass ich mir immer mehr vornehme, als
ich bewältigen kann.
Kulturstrom: Herr Crusius, ich danke ihnen für dieses
Gespräch
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